"Welche Anzahl an Büchern muss zitiert werden?", lautet eine Originalfrage eines Studenten.
"Ihnen wird die Antwort nicht gefallen", sagt der Computer in
Per Anhalter durch die Galaxis.
Die Ultimative Antwort: 42.
Auf unsinnige Fragen gibt es eben unsinnige Antworten, murmelt der Wissenschaftler... Aber Scherz beiseite, für Studenten ist das praktisch relevant. Sie wissen (oder ahnen zumindest), dass eine zu schmale Literaturgrundlage zu schlechter Bewertung führt. Aber
wieviel ist nun "genug"? Oder "gut"? Oder "sehr gut"?
Die korrekte Antwort ist leider nicht viel besser als "42" – nämlich: "Das hängt davon ab." Vom Anspruch der Arbeit und dem Abschlussniveau (Bachelor, Diplom, Master), von der Literaturlage (wieviel und was ist zu einem Thema überhaupt erschienen), vom Untersuchungskonzept der Arbeit.
Richtig ist, dass Gutachter auf den
Umfang des Quellen- und Literaturverzeichnisses schauen. Bei einer Bachelorarbeit mit nur fünf belegten Quellen zieht sich die Stirn des Professors zusammen. 15-20 darf man bei den meisten Themen schon erwarten, vielleicht aber auch 30, 40, 50. Je nachdem.
"Ich soll 50 Bücher durchlesen?! Ich bin doch nicht verrückt!" Das verlangt auch niemand. Auch aus Büchern nimmt man sich nur das, was man wirklich braucht: ein Kapitel, vielleicht nur eine Seite.
Zudem: Es geht es keineswegs nur um "Bücher". Ein Kandidat kann in seiner Arbeit möglicherweise
gar kein Buch zitieren und trotzdem eine erstklassige Bewertung nach Hause tragen – weil seine anderen Quellen so gut und umfangreich sind.
Ein 5-Seiten-Artikel aus einer Zeitschrift kann für ein Thema viel besser sein als ein ganzes Buch, weil er genau zur Fragestellung der Thesis passt, während die verfügbaren Bücher das Thema nur am Rande erwähnen. Oder weil er brandaktuell ist, während die verfügbaren Bücher, auch und gerade "Standardwerke" (die in 17. Auflage), veraltet sind.
Wenn Sie eine Handvoll solcher perfekt passenden Aufsätze haben, ist das vielleicht alles, was Sie brauchen. Sie müssen Sie nur finden.
Aller Wahrscheinlichkeit nach werden Sie aber einen Mix von Quellen haben – einige sehr passgenau und ergiebig, viele begrenzt brauchbar, einige so lala bis fast irrelevant. Einige Bücher darunter und einige Nicht-Bücher.
Die Kritik an der Frage richtet sich also auf das
Missverständnis, dass die ultimative Quelle ein Buch ist.
Der gefühlte Goldstandard
Sicher, (wissenschaftliche) Bücher sind für eine studentische Abschlussarbeit zunächst einmal der gefühlte Goldstandard, man wähnt sich auf der sicheren Seite:
- Sie sind im Bibliothekskatalog und -regal bequem zu finden.
- Profs verweisen gern und häufig auf "Standardwerke", die man kennen und benutzen soll.
- Autoritäten zwischen Buchdeckeln sind uneingeschränkt zitierfähig und zitierwürdig.
- Bücher werden auch von anerkannten Fachautoren besonders viel zitiert.
- Und wenn man nicht gerade eine hochspezielle Doktorarbeit oder Habilitationsschrift erwischt, ist die Chance groß, dass sich das Buch an ein breiteres Publikum richtet, also halbwegs verständlich ist.
Mit "Büchern" war bei der Frage vermutlich in erster Linie (wissenschaftliche) Sekundärliteratur gemeint. Ein Jurist beispielsweise arbeitet vorwiegend mit (Primär-) Quellen wie Gesetzestexten und Gerichtsurteilen plus Sekundärliteratur, also Fachtexten
über die (Primär-) Quellen. Ein Betriebswirt mag als (Primär-) Quellen Zahlen, Daten, Fakten, Berichte eines Unternehmens ansehen und zieht zusätzlich Sekundärliteratur heran, z.B. über die Branche, über Unternehmensfunktionen und Tätigkeitsbereiche (etwa Marketing, Personalwesen oder Controlling).
Vor allem Bachelor-Abschlussarbeiten arbeiten fast ausschließlich mit Sekundärliteratur, weil der wissenschaftliche Anspruch etwas geringer ist (siehe dazu den Beitrag:
"Bachelor- und Masterarbeiten: der kleine, große Unterschied"). Bei einer BA-Thesis ist es auch akzeptabel, dass ein größerer Teil des Literaturverzeichnis aus
Lehrbüchern und anderen Einführungswerken besteht, also Sekundärliteratur in Form von nicht allzu speziellen Monographien, und sogar Tertiärliteratur (Lexika, Handbücher usw.).
Ist der wissenschaftliche Anspruch größer (Diplom- und Masterarbeit), desto wichtiger sind, allgemein gesprochen:
- Primäre Quellen, d.h. Informationen am Ursprungsort, noch nicht von Experten und Wissenschaftlern gesammelt, analysiert und interpretiert;
- spezielle Sekundärliteratur, also hochgradig spezialisierte Monographien (keine Lehr- und Einführungsbücher), die für Experten und nicht für junge Studis geschrieben werden;
- und aktuelle Sekundärliteratur, die "den Stand der Forschung" wiedergibt; also z.B. aktuelle wissenschaftliche Aufsätze in einer Fachzeitschrift oder in Sammelbänden (die oft aus Tagungen entstehen), oder Studien oder Diskussionspapiere von Instituten und Fachgesellschaften.
Bücher sind aus dieser Sicht schon deshalb problematisch, weil sie schnell veraltet sind. Ein Buch zu schreiben, dauert lange; es zu veröffentlichen und zu verkaufen, auch.
Den aktuellsten Stand der Forschung findet man daher eher nicht in den Büchern, die eine Hochschulbibliothek im Regal stehen hat. Schon gar nicht in der vertrauten Lehrbuchsammlung.
Die Nicht-Bücher sind aber auch viel schwieriger zu finden, zu verstehen und zu benutzen. Die Recherche ist anspruchsvoller. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um schnelles Herbeigoogeln beliebiger Internetseiten, sondern um wissenschaftlich taugliche Quellen.
Wenn Bücher kaum eine Rolle spielen: Empirische Arbeiten
In den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften dominieren zwei Arten von Abschlussarbeiten: Literaturstudien und empirische Studien. Bei der ersten Gattung dreht sich alles, wie der Name schon sagt, um die Aufarbeitung der Fachliteratur zu einem Thema (oft eher theoretisch orientiert). Da werden dann ganz sicher auch viele Bücher genutzt, und die Diskussion der Bücher steht im Mittelpunkt.
Bei der zweiten Gattung untersucht die Kandidatin dagegen selbst empirisch, d.h. sie sammelt selbst die Informationen, z.B. durch Beobachtung, Befragung, statistische Erhebung oder Dokumentenrecherche. Sekundärliteratur dient dann nur dazu, ein Konzept für die eigentliche Untersuchung zu begründen. Vielleicht vergleicht die Autorin ihre Ergebnisse noch mit denen einer anderen Studie.
Bücher werden daher eine untergeordnete Rollen spielen.
Ein Beispiel. Zugegebenermaßen ein eher extremes, was die Zahl der Quellen angeht. Ich hatte gerade eine ziemlich gute Master's Thesis mit einem hohen forscherischen Eigenanteil auf dem Schreibtisch. Das Thema drehte sich um ein EU-Gesetzgebungsverfahren.
- Die Autorin hat sich dafür in die Datenbanken gestürzt und rund 160 Quellen belegt.
- ...davon gut 40 Dokumente aus den an der Gesetzgebung beteiligten Institutionen und über 100 Dokumente von Unternehmen und Verbänden (Positionspapiere, Stellungnahmen, Pressemitteilungen, Redeskripte und vieles mehr), außerdem Medienberichterstattung. Diese Dokumentenanalyse war der methodische Kern der Arbeit.
- Hinzugezogen hat sie eine Handvoll an wissenschaftlichen Texten, aber da das Thema so aktuell war, gab es zum Speziellen nicht viel. Die wissenschaftlichen Aufsätze und Bücher dienten vorrangig dazu, den Forschungsansatz zu begründen und einen Rahmen für die Analyse und Interpretation der Dokumente aufzubauen. Insgesamt waren das rund 25 Texte der Sekundärliteratur, davon vielleicht 2 Monographien, ein Dutzend Aufsätze aus Sammelbänden, der Rest Aufsätze aus Fachzeitschriften oder separat erschienene Studien.
Das klassische "Buch", nämlich die Monographie eines Einzelautors, spielte also in dieser Thesis so gut wie keine Rolle. Auch die Bücher, die eine Sammlung von Aufsätzen darstellen, sind nur begrenzt wichtig. Die Frage von ganz oben, "Welche Anzahl an Büchern muss zitiert werden?", ist hier marginal. Der Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung sind die primären Quellen, alles keine Bücher.
Wieviel ist genug?
Zurück zur Ausgangsfrage. Wieviel "genug" oder "gut" ist, kann Ihnen in Zahlen niemand sagen. Das entscheidet sich nach der inhaltlichen Qualität und Passgenauigkeit, mithin nach dem Erfolg Ihrer Recherche und dem Thema. Wenn Sie Glück haben, finden Sie schnell Quellen mit hoher Güte. 10 großartige, aussagekräftige Quellen sind besser als 50, die nur am Rande mit Ihrem Thema etwas zu tun haben. Aber das kann man vorher nicht wissen.
Schließlich kommt es darauf an, was Sie daraus machen. Manchmal haben Studenten Angst, dass Sie nicht genug Material zu einem Thema finden. Andere davor, dass sie zuviel finden. Es macht Ihre Thesis sicher nicht besser, wenn Sie Berge von Material auftürmen, die Sie nicht mehr bewältigen können. Weniger ist oft mehr.
Am Ende werden Sie nicht nach der schieren Quantität Ihrer Quellen bewertet, sondern nach Tiefgang in Darstellung und intelligenter Auswertung. Struktur und pointierte Aussagen zählen mehr als das kommentarlose Aneinanderreihen von Zitaten. Man kann also mit der Literatursuche viel Zeit verplempern, die besser in eine Auseinandersetzung mit der bereits gefundenen Literatur investiert wäre.
Eigentlich gibt es nur eine gültige Daumenregel, und sie bezieht sich nicht aufs Minimum, nicht aufs Optimum, sondern aufs Maximum. Wenn Sie bei einer hoffentlich gründlichen und systematischen Recherche und Lektüre merken, dass Sie nichts Neues mehr dazulernen oder sich das Altbekannte ständig wiederholt, dann sollten Sie mit dem Hinzufügen neuer Literatur aufhören.
Ökonomen sprechen hier vom
"abnehmenden Grenznutzen" (1. Gossensches Gesetz). Sie können zwar ewig weiter nach Literatur suchen, aber mit jedem Text, den Sie jetzt noch finden, nimmt der Ertrag ab, den Sie davon noch haben. Anders gesagt, "Vollständigkeit" der Recherche kann nicht das Ziel sein.
Man kann sich auch totrecherchieren. Eine Abschlussarbeit muss auch in dieser Hinsicht nicht perfekt sein; nur fertig werden muss sie.