22. Februar 2011

Indirektes Zitieren, keine URLs als Quellenangabe

Einer meiner Studenten findet die Zitierregeln etwas verwirrend. Er fragt sich, ob er nicht wörtlich zitierte, aus Quellen entnommene Textpassagen besonders kennzeichnen muss? Und dann geht es ihm um Internetadressen (URLs), die er zunächst als Kurzbeleg in den Text eingebaut hatte: "Verstehe ich es richtig, dass ich bei Zitaten gar keine URL angeben soll?! Nicht einmal dann wenn auf der Seite ein expliziter Verweis vorhanden ist, wie die Quelle gekennzeichnet werden soll und dort die URL enthalten ist?" Die Antwort:

Wenn Sie Informationen verwenden, wie auch immer, muss eine Quellenangabe her. Ein Wort-für-Wort-Zitat gehört ganz simpel in Anführungsstriche. Aber auch ein indirektes Zitat oder jegliche Art von Übernahme fremder Infos bedarf der Quelle (es sei denn, es ist Allgemeinwissen: der Zweite Weltkrieg dauerte von 1939 bis 1945).

In beiden Fällen fügen Sie einen Kurzbeleg ein (Meier, 2011, S. 34). Da gibt’s keinen Unterschied. Im ersten Fall ist durch die Anführungszeichen klar, dass es sich um ein wörtliches Zitat handelt, im zweiten Fall machen die fehlenden Anführungszeichen klar, dass Sie indirekt zitieren oder zusammenfassen.

Beim echten indirekten Zitieren (dabei halten Sie sich relativ dicht an den Wortlaut eines Autors, benutzen aber die indirekte Rede und dürfen auch etwas vom Wortlaut abweichen, Satzteile überspringen usw.) würden Sie zum Beispiel schreiben:

Die Rolle der EU in der Welt sei eine ziemlich komplizierte Sache und werde von Experten von Wildau bis Wladiwostok seit Jahren in ihrer Komplexität kontrovers diskutiert, betont schon Meier (2011).

Eine eigene Zusammenfassung läse sich z.B. so:

Die Rolle der EU in der Welt ist ganz kompliziert, da ist sich die Fachwelt einig (Meier, 2011).

In der Tat gehört in den Kurzbeleg keine URL, denn das Format lautet ja immer Autorenname, Datum, Seite (ersatzweise Herausgeber/Publikation, wenn kein Autor feststellbar ist). Eine URL ist eine Fundstelle, kein Autor, kein Herausgeber und keine Publikation. Die URL taucht dann nur hinten im Quellenverzeichnis mit den Vollbelegen auf. Beispiel:

Text:
Die Rolle der EU in der Welt ist ganz kompliziert, da ist sich die Fachwelt einig (Meier, 2011).

Quellenverzeichnis hinten:
Meier, M. (2011, 20. Februar). Die komplizierte Rolle der EU in der Welt. Wildauer Welt-Blog, online auf http://wildauer-welt-blog.blogspot.com/2011/21/komplizierte-rolle.html (Zugriff am 21. Februar 2011).

Fehlt der Autor, würden Sie schreiben:

Text:
Die Rolle der EU in der Welt ist ganz kompliziert, da ist sich die Fachwelt einig (Wildauer Welt-Blog, 2011).

Quellenverzeichnis hinten:
Wildauer Welt-Blog (2011, 20. Februar). Die komplizierte Rolle der EU in der Welt. Wildauer Welt-Blog, online auf http://wildauer-welt-blog.blogspot.com/2011/21/komplizierte-rolle.html (Zugriff am 21. Februar 2011).

21. Februar 2011

Tipps von Master-Studenten: Wie man einen wissenschaftlichen Aufsatz liest

Aufsätze in wissenschaftlichen Fachzeitschriften sind anders als einführende Lehrbücher oder Zeitungsartikel. Für Studenten sind sie schwieriger zu lesen, denn sie werden von Experten für Experten geschrieben und präsentieren aktuelle, oft sehr spezialisierte Forschung in einer Fachdisziplin. Master-Studenten müssen sich damit auseinander setzen. Einige meiner Master-Studenten haben Vorschläge, wie man sich solche Texte erarbeiten kann (Zusammenfassung).


"Was wirklich hilft, ist, sich erst einmal eine grobe Übersicht über die Struktur des Artikels zu verschaffen. Als ersten Schritt überfliege ich die Überschriften und Zwischenüberschriften. Ich lese zuerst das Abstract und den Schluss. Dann habe ich so eine Grundidee, worum es geht. Spezielle Begriffe schlage ich z.B. mit Google nach. Dann lese ich Absatz für Absatz. Das Lesen und Verstehen kann viel Zeit kosten, da muss man sich Zeit fürs Noch-einmal-Lesen nehmen. Je mehr solche Texte man liest, desto besser versteht man die wissenschaftliche Schreibe -- ganz klar Übungssache!"

"1. Einführung und Fazit zuerst lesen. Dann weiß man, worum es geht. 2. Schlüsselbegriffe des Artikels markieren und im Hinterkopf behalten, immer darauf achten, wo und wie sie verwendet werden. 3. Den Hauptteil lesen, versuchen ihn zu strukturieren; Grundfragen klären - was, wer, warum? 4. Noch einmal das Fazit genau lesen, um den Inhalt des Hauptteils und seine Bedeutung zu resümieren."

"Darauf achten, welche Begriffe eingeführt werden. Es ist wichtig, alle unklaren Begriffe zu finden und sein eigenes Verständnis des Themas zu überprüfen. Der Hauptunterschied zwischen einem wissenschaftlichen Aufsatz zu Lehrbüchern und Zeitungen ist, dass ein Aufsatz Hintergrundwissen voraussetzt. Darum musst man sich zusätzlich Hintergrundinformationen verschaffen, auch wenn das ganz schön viel Zeit kosten kann."

"Ich lese den Aufsatz einmal ganz durch und unterstreiche unbekannte Wörter. Ich lese ihn dann noch einmal, übersetze zentrale Begriffe und streiche die interessanten Sätze mit einem Textmarker an. Bei einem fremdsprachlichen Text, vor allem bei komplexen Sätzen, ist es sinnvoll, sich ein (einsprachiges) Wörterbuch daneben zulegen. Vor der Diskussion im Seminar lese ich den Text noch einmal, um beim Inhalt sicher zu sein."


"Manchmal muss man einen Text mehrmals lesen, bevor man in der Lage ist, ihn richtig wiederzugeben. Nicht beim ersten Mal aufgeben."

"Nicht demotivieren lassen, nur weil diese Aufsätze sehr komplex und lang scheinen. Am besten nicht auf die langen Fußnoten und Literaturnachweise schauen. Nicht frustrieren lassen, wenn da mal ein Wort ist, das man nicht versteht. Man muss nicht jedes einzelne Wort verstehen. Nachschlagen, wenn es so wichtig ist, dass der Kontext ohne dieses Wort nicht verstanden werden kann."

"Die meisten Aufsätze haben ein Abstract. Das sollte man unbedingt zuerst lesen, weil darin die Kernideen und der Ansatz enthalten sind. Die Einführung sagt in der Regel einiges darüber aus, an welcher Diskussion sich der Autor beteiligen will, welche Methoden er verwendet, und die zentrale Aussage findet sich hier auch. Einführung und Schluss muss man als eine Einheit sehen. Versteht man das, versteht man meist auch den Rest. Die Literaturliste zeigt, in welchem akademischen Zusammenhang der Autor schreibt. Da kann man sich auch etwas Zusatzwissen holen. Es ist sinnvoll, sich die wichtigen Aspekte der wesentlichen Absätze herauszuschreiben, wie ein Protokoll."

"Ich habe da meine eigene Reihenfolge, wie ich vorgehe. Ich überfliege den Text, damit ich weiß, worum es geht. Dann forsche ich ein bißchen im Internet oder in Büchern nach, um Hintergrundwissen zu bekommen. Wenn ich den Text gelesen haben, überprüfe ich: Habe ich's verstanden? Ich versuche, den Inhalt so zusammenzufassen und zu erklären, dass ihn jemand anderes verstehen kann."

"Wenn der Artikel zu groß ist, um alles auf einmal zu verstehen und ich den roten Faden verliere, dann teile ich mir den Artikel in mehrere Teile auf und lese stückweise, mit kurzen Pausen. Die Seminardiskussion ist ganz gut, um den Gesamtzusammenhang zu verstehen und zu klären, was einem fehlt."

"Der Textmarker ist für mich wichtig. Man muss nur aufpassen, dass man nicht jede Textzeile farbig markiert. Man sollte vor dem Markieren also wissen, worum es geht und was das zentrale Argument ist, sich auch ein paar Notizen machen. Nicht nur anstreichen, sondern auch am Rand wichtige Aussagen oder Fragen notieren. Man kann auch ein paar eigene Zwischenüberschriften einfügen."

"Mit der Zeit, also wenn man ein paar von diesen Aufsätzen gelesen hat, kommt Erfahrung. Der erste große wissenschaftliche Artikel, den man liest, ist der schwierigste. Nach und nach gewöhnt man sich an Struktur und Sprache. Von den nächsten Aufsätzen, die man liest, hat man dann auch mehr."

"Wissenschaftliche Aufsätze werden über sehr spezifische Themen geschrieben. Darum muss man sich fragen: Was weiß ich schon über das Thema, was sind meine Vermutungen, habe ich schon mal was darüber in Vorlesungen oder in anderen Büchern gehört. Nach dem Lesen solte man sich selbst ein paar Fragen zu Text und Thema notieren."

"So einen Aufsatz in der Bahn oder in kurzen Pausen zwischen Vorlesungen zu lesen, macht wenig Sinn. Man muss sich schon ziemlich konzentrieren. Es kostet Zeit zu lesen UND zu verstehen."

"Ich lese grundsätzlich zweimal. Beim ersten Mal gehts mir um die Übersicht, beim zweiten Mal um die Details, da will ich der Logik des Autors voll folgen können. Ich will auch immer wissen: Was sind hier die Fakten? Ohne die kann ich den Artikel nicht richtig analysieren. Allerdings sind nicht alle Fakten nützlich, wenn man die Kernidee eines Aufsatzes auswickeln will. Wichtig sind auch die Aussagen über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung - was bewirkt was? Darüber sollte man sich dann auch eine eigene Meinung bilden können."

17. Februar 2011

Quelle Wikipedia - verboten oder erlaubt?

Darf man Wikipedia  in einer wissenschaftlichen Arbeit zitieren? Keine Frage wird so häufig in Thesis-Workshops gestellt wie diese. Und es ist ja so: Keine Quelle wird von Studenten so häufig konsultiert wie Wikipedia, und dann eben auch zitiert.

2011 wird die "freie Enzyklopädie" zehn Jahre alt. Und seit es sie gibt, streiten sich Dozenten über die Zitierfähigkeit. Der Streit verunsichert Studierende seit einem Jahrzehnt. Sie sind damit aufgewachsen. Und fast jeder Wissensarbeiter benutzt Wikipedia, vielleicht sogar täglich.

Das eine Lager der Dozenten sagt, Zitate aus Wikipedia sind auf jeden Fall völlig tabu. Die anderen sagen, Wikipedia ist eine Internetquelle wie andere auch, und viele Dozenten bauen Wikipedia sogar in Seminare ein und lassen Studenten selbst Beiträge verfassen.

Academics.de hat den Streit jüngst aufgegriffen, mit einem jeweils gut differenzierten Pro und Kontra. Ein Blick auf die beiden Artikel lohnt sich, um zu verstehen, worum es beiden Seiten geht. Beide haben ein bisschen Recht.

Die Kritik an Wikipedia als wissenschaftliches Referenzwerk

Für die Kritiker schreibt die Historikerin Maren Lorenz (Uni Hamburg), Wikipedia sei durchaus alltagstauglich für die Orientierung über unbekannte Themen und zur Suche nach nützlichen Links zu vertrauensvolleren Quellen. Trotzdem verbietet sie ihren Studenten Wikipedia als Referenz und erklärt ihnen auch warum; "Das kostet leider viel Zeit und fruchtet nicht immer", sagt sie. Sie verbiete es  "nicht aus Traditionalismus, sondern in Sorge um das Bildungssystem Universität". Sie fürchte um die Informationskompetenz der Lernenden, Schlüsselkompetenzen wie Recherche, Selektion und Evaluation von Quellen und Belegen zur Informationsgewinnung.

Wikipedia benutzen, meint sie, ist Recherche der Marke "quick and dirty". Das Kernproblem sei die Manipulierbarkeit, das fehlende Qualitätsmanagement nach bewährten Standards der Wissenschaftlichkeit.  

Weder die sachliche Richtigkeit jeder einzelnen Aussage noch die dauerhafte Verlässlichkeit der zu jedem Moment angezeigten Information könnten garantiert werden. Wikipedia sei defizitär bei der Qualität, bei der Transparenz und bei der Autorschaft der Artikel. 

Zwar seien einzelne Wikipedia-Artikel von hoher Qualität, aber das sei irrelevant. Denn immer handele es sich um eine Momentaufnahme. Auch die Auszeichnung "gesichtete Seiten" lässt sie als Qualitätsmerkmal nicht zu, denn dahinter stünden nur "selbsternannte Verantwortliche".

Es fehle ein  klar definiertes Kontrollsystem und Professionalität. Es gibt schlicht kein Fachlektorat, stellt Lorenz fest. Das Abstimmungssystem der Redakteure sei fragwürdig, die technischen Spielregeln seien hochkomplex, die Identitäten der Redakteure unbekannt - und diese seien nach Umfragen meist junge männliche Singles, die bestimmt nicht das "Weltwissen" repräsentierten.Wer sich bei Wikipedia durchsetze, sei ein "permanenter intransparenter Prozess", bei dem es um Entscheidungsmacht und Deutungshoheit gehe. Lorenz meint: "Der Hartnäckigste mit der meisten Zeit setzt sich langfristig durch."
Die 'volksdemokratische' Wikipedia versagt in puncto Objektivität flächendeckend durch Edit-Wars, gezielte oft politisch, ideologisch und ökonomisch motivierte Manipulationen, vor allem bei technischen und soziokulturellen Themen, und durch nationale Bauchnabelperspektiven, wie sie in den verschiedenen Sprachen sinnfällig werden. Geschickte Manipulationen sind inhaltlich nur zeitlich aufwendig und technisch im strafbaren Einzelfall nur durch richterliche Genehmigung teuer nachzuweisen.

Sie fügt hinzu, dass selbst renommierte Nachschlagewerke (z.B. Meyers Taschenlexikon) in der Wissenschaft nicht zitiert werden, sondern nur als Einstieg in tiefere Recherchen dienen sollten. Viele Artikel der Wikipedia gingen in Umfang und Struktur jedoch weit über Lexika hinaus und erhöben den Anspruch detaillierter und differenzierter Information. Der Teufel liege meist im Detail -- und genau das werde weder von den ehrenamtlichen Redakteuren noch von den Nutzern erkannt. Zum Problem der unklaren Autorschaft bei sagt Lorenz, Wikipedia-Artikel basierten bestenfalls auf Artikeln aus Fachbüchern oder anderen Lexika. Woher wissen die Autoren, was sie wissen? Das ist selten wirklich klar.

Gegenposition: Wikipedia ist OK – aber die Nutzung will gelernt sein

Die Gegenposition vertreten Johannes Becher (Doktorand an der Bucerius Law School, Hamburg) und Viktor Becher (wissenschaftlicher Mitarbeiter, Uni Hamburg). Sie plädieren gegen ein pauschales Wikipedia-Zitierverbot an den Hochschulen.

Sie stellen zunächst einmal fest, dass Wikipedia auch unter Wissenschaftlern immer beliebter geworden ist und sehr häufig in Aufsätzen und Büchern zitiert wird. Das stehe im krassen Gegensatz zum Zitierverbot für Studenten. Sie finden das Anti-Wikipedia-Dogma "äußerst bedauerlich".

Denn erstens werde die Aufbereitung und Vermittlung von Wissen im Internet in Zukunft noch stärker von Wikipedia und ähnlichen Formaten dominiert sein, als sie es ohnehin schon ist. Daher stünden Hochschulen in der Pflicht, ihren Studenten einen reflektierten Umgang mit dem Online-Nachschlagewerk beizubringen, statt pauschal zu verbieten. Zweitens stünden dahinter zahlreiche Missverständnisse und Vorurteile.

Die beiden Bechers führen einige Studien an, die zeigen, dass die Wikipedia-Qualität dem Vergleich mit renommierten Lexika wie Brockhaus oder Encyclopaedia Britannica standhält, oftmals aktueller sei und Themen präsentiere, die anderswo gar nicht auftauchten. Die Selbstkorrektur-Methode der Wikipedia sei schnell und effektiv, die Diskussionen der ehrenamtlichen Redakteure fruchtbar, das Ergebnis sei eine bemerkenswerte Objektivität und Ideologiefreiheit. Gerade aktuelle und besonders kontroverse Themen, wie zum Beispiel ein laufender Krieg, würden bei Wikipedia von Tausenden von Autoren diskutiert. "Dadurch ist sichergestellt, dass der entsprechende Artikel einen echten Konsens darstellt bzw. alle Meinungen in der Debatte in irgendeiner Form widergibt", sagen die Bechers. "Wikipedia ist damit resistent gegen ideologisch gefärbte und manipulative Inhalte wie kaum eine andere Informationsquelle."

Zur Veränderbarkeit der Artikel führen die Bechers an, dass die Funktion des "Permanentlinks" stets die Möglichkeit biete, eine ganz bestimmte Version zu zitieren.

Dass Wikipedia anfällig für Plagiarismus sei, bestreiten die Bechers nicht. Dieser Gefahr sollten sich Nutzer bewusst sein -- und selbst prüfen, z.B. per Suchmaschine. Das sei ein Nachteil, der jedoch durch viele Vorteile aufgewogen werde.

Sie wenden sich zudem gegen die Aussage, Wikipedia-Artikel seien unzuverlässig, weil Aussagen nur unzureichend belegt seien. "Dieses Vorurteil scheint aus der Anfangszeit von Wikipedia zu stammen, in der es tatsächlich an Belegen mangelte", meinen sie.
"Schon seit Jahren verlangen Wikipedias Autorenrichtlinien jedoch eine Stützung von Aussagen mit Belegen. Unbelegte Aussagen werden direkt im Artikel als solche gekennzeichnet und, sofern die Aussage nach einiger Zeit nicht belegt werden kann, gelöscht. Zudem sollten Studenten ohnehin lernen, ständig ein Auge darauf zu haben, ob Aussagen hinreichend belegt werden, denn auch in akademischen Publikationen finden sich bisweilen unbelegte Aussagen. In jedem Fall kann das vereinzelte Fehlen von Belegen keine schlüssige Begründung für ein grundsätzliches Wikipedia-Zitierverbot darstellen."
Nicht bestritten wird auch, dass bei einigen Artikeln anonyme Autoren am Werk seien. Die Bechers verweisen darauf, dass jederzeit die Versionsgeschichte aufgerufen werden könne, so dass die Zahl der mitarbeitenden Autoren ersichtlich sei; außerdem informiere die Diskussionsseite eines jeden Wikipedia-Artikels über Erwägungen und Meinungsverschiedenheiten unter den Autoren.
"Dabei ist ein Artikel, der von über 200 Autoren kontrovers diskutiert worden ist, sicherlich als verlässlicher zu bewerten als ein Artikel, dessen Versionsgeschichte und Diskussionsseite nur wenige Einträge enthalten. Studenten erhalten bei Wikipedia die Gelegenheit, sich selbst ein Bild von der Kontroversität eines Themas zu machen - was natürlich voraussetzt, dass sie den korrekten Umgang mit Wikipedia gelernt haben."
Becher und Becher meinen also, dass die Wikipedia bei einem reflektierten und eigenverantwortlichen Umgang mit Quellen unübertrefflich sei. Genau dieses müsse an Hochschulen vermittelt werden. Ein Pauschalverbot sei kontraproduktiv. Jede Quelle müsse von Studenten überprüft werden. Auch bei herkömmlichen Quellen könne Qualität nicht vom Renommee des Autors und/oder des publizierenden Verlages abgeleitet werden.
"Das Problem besteht unseres Erachtens aber nicht darin, dass Studenten Wikipedia zitieren, sondern dass sie die Enzyklopädie nicht richtig gebrauchen bzw. sich übermäßig auf sie verlassen. Natürlich ist es unwissenschaftlich, z.B. die Hauptaussage einer Seminararbeit allein auf einen Artikel aus einer Enzyklopädie zu stützen - ganz gleich, ob es sich dabei um Wikipedia oder um eine traditionelle Enzyklopädie handelt. 
Unseres Erachtens spricht jedoch nichts dagegen, eine schöne Definition oder ein gutes Argument aus einem Wikipedia-Artikel aufzugreifen und dies in Form eines entsprechenden Hinweises zu würdigen. Anstatt Wikipedia pauschal zu verbieten, sollten Hochschullehrer in Zukunft verstärkt Wert darauf legen, ihren Studenten ein echtes Verständnis der Grundlagen wissenschaftlichen Zitierens zu vermitteln. Das Problem unangemessener Wikipedia-Zitate, dessen Ursache von den bestehenden Zitierverboten lediglich verschleiert wird, sollte sich dann wie von selbst erledigen."
Fazit

Im Grunde also sind die hier zusammengefassten Pro und Kontra-Beiträge kompatibel: nämlich in dem Punkt, dass Informations- und Recherchekompetenz notwendig sind, um eine Wikipedia sinnvoll nutzen zu können. Dass es daran bei Studenten oft hapert, da sind sich die Kontrahenten einig.

In zwei entscheidenden Punkten liegen sie aber weit auseinander:
  • Die Sicht auf den Nutzer - faul oder kritisch? Die Bechers meinen, dass auch jedes andere Lexikon geprüft werden muss -- und dass Wikipedia eine prima Gelegenheit ist, um den das zu lernen. Die Bechers trauen dem Nutzer zu, diesen Anspruch zu erfüllen. Für Lorenz allerdings ist Wikipedia nur eine Fassade, die den faulen Nutzer in Sicherheit wiegt, die es nicht gibt; und der von den Bechers geforderte kritische Umgang mit Wikipedia entspricht, folgt man Lorenz, nicht der Alltagswirklichkeit.
  • Die Sicht auf die Macher - Profis oder Amateure, Experten oder Laien? Verlässliche Qualität kann für Lorenz nur durch ein professionelles Fachlektorat - also Experten - gesichert werden, während die Bechers auch der Schwarmintelligenz einer Redaktionsgemeinschaft aus Amateuren zutrauen, ein ebenso gutes Lexikon zu produzieren. Nach Lorenz muss sich der Nutzer auf die Profis verlassen können (und dafür auch bereit sein zu zahlen). Für die Bechers ist das Diskurs- und Korrekturprinzip des Web 2.0 jedoch im Endergebnis genauso leistungsfähig, wenn nicht sogar leistungsfähiger.
Ähnliche Diskussionen über das Mitmach-Web finden sich in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens, beispielsweise zu Fragen wie: Ist Amateur- und Blogger-Journalismus so gut wie die ausgebildeten Reporter und Redakteure der etablierten Massenmedien, die über Jahrhundert die "Gatekeeper" des Nachrichtenwesens waren? Sind politische Web-Plattformen, Internet-Bürgerinitiativen und e-Voting so gut wie die Debatte und Entscheidung gewählter Volksvertreter?

Wahrscheinlich ist, dass in Zukunft beides parallel stattfindet und miteinander verknüpft wird. Internetquellen sind heute aus dem wissenschaftlichen Alltag überhaupt nicht mehr wegzudenken. Auch die Wikipedia - oder ähnliche Lexika - werden bleiben. Ein pauschales Wikipedia-Verbot is tatsächlich, da muss man den Bechers Recht geben, kontraproduktiv und wirkt immer seltsamer.

Andererseits ist Lorenz' Sorge um zu viel Bequemlichkeit berechtigt. Sorgfalt und Skepsis werden für die Nutzer des Web 2.0 immer wichtiger. Dass man alles leicht ergoogeln könne und Wikipedia auf alles vollständige Antworten parat hält, ist naiv. Die Anfälligkeit für Manipulationen im Web 2.0 muss jedem Studenten bewusst sein. Es gibt kein professionelles Korrektiv.

Mehr denn je gilt, was in den USA früher gern auf Autoaufklebern und gesprüht auf Häuserwänden gefordert wurde: Question authority! Jede Art von Autorität ist zu hinterfragen, wissenschaftlich oder nicht. Und Wikipedia ist vom Ansatz her überhaupt keine "Autorität". Wer Wikipedia traut, trägt ein Risiko -- und immer noch ein größeres Risiko als etablierteren Referenzwerken. Wer Wikipedia zitiert, muss dafür gute Gründe haben. Und sorgfältig prüfen.

16. Februar 2011

Plagiate: Wie "Dr. Googleberg" bei der Thesis schummelte

Seitenlange Passagen, die ohne Quellenangaben einfach übernommen wurden: Copy-and-paste in Reinkultur. Das muss sich Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg vorwerfen lassen. Seine Doktorarbeit an der Uni Bayreuth sei an mehreren Stellen "ein dreistes Plagiat" und "eine Täuschung", wettert der Jura-Professor Andreas Fischer-Lescano (Uni Bremen) in der Süddeutschen Zeitung. "Die Textduplikate ziehen sich durch die gesamte Arbeit und durch alle inhaltlichen Teile", sagt Fischer-Lescano in dem Bericht. Wie der Bremer Jurist dazu kam, erzählt er hier. Seine Rezension des Buches liest man in der Fachzeitschrift Kritische Justiz.

Auch Spiegel Online widmet sich dem Plagiat. Die FAZ ebenfalls, die feststellte, dass Guttenberg schon für die Einleitung einen FAZ-Artikel abgekupfert hat. Ebenso die NZZ, deren Chefredakteur vom Minister eine Entschuldigung verlangte. Derzeit jagen bundesweit Journalisten nach weiteren Plagiatsstellen. Und andere - es gibt sogar schon ein GuttenPlag Wiki - "eine kollaborative Dokumentation der Plagiate" des Ministers, bei der jedermann mitmachen darf. Einen "interaktiven Guttenberg-Report" mit grafischer Darstellung der Plagiate gibt es auch.

Das sagte Guttenberg dazu am 18. Februar 2011 in einer Erklärung (Wortlaut):


Wenig später war er den Doktorgrad los. Die Debatte ging und geht jedoch weiter – nicht nur in der Politik, auch in der Wissenschaft. Der Nachfolger von Guttenbergs Doktorvater an der Universität Bayreuth, Professor Oliver Lepsius, spricht Klartext: "Wir sind einem Betrüger aufgesessen." Er vergleicht den Fall mit Studenten und Doktoranden. Wer ihm mit Argumenten wie Guttenberg komme, den könne er nur auslachen:



Die rechts- und politikwissenschaftliche Doktorarbeit trägt den Titel "Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU". Das 475-Seiten-Werk, 2009 erschienen bei Duncker & Humblot, machte Guttenberg 2007 mit der Bestnote summa cum laude zum Dr. jur. Nun soll der Ombudsmann für wissenschaftliche Selbstkontrolle der Uni Bayreuth feststellen, ob an den Vorwürfen etwas dran ist -- und wie schwer der Fall wiegt. Im allerschlimmsten Fall wird dem Minister der Doktortitel aberkannt.

Die Süddeutsche dokumentiert allerdings ziemlich eindeutig, wie der Minister vorgegangen ist. In einer Online-Dokumentation werden Guttenberg-Text und seine Quellen nebeneinander gestellt.

Bei rund 1000 Fußnoten und 50 Seiten Bibliografie sollte man annehmen, dass alles korrekt belegt ist und Guttenberg nicht planmäßig Geistesraub betrieben hat. Der Bremer Professor allerdings fand - bei einer Routineprüfung, wie er sagt - allerdings Verstöße gegen die Spielregeln in drei Varianten:
  • Direkte Kopie ohne Fußnotenbeleg und ohne Nachweis im Literaturverzeichnis, also praktisch wortgleiche Übernahme mit nur geringfügigen Abwandlungen und Einfügungen ohne jede Quellenangabe;
  • Direkte Kopie ohne Fußnotenbeleg, aber mit Nachweis im Literaturverzeichnis; auch hier wurden Textpassagen übernommen und als eigener Text des Autors Guttenberg ausgegeben. Der allgemeine Beleg in der Bibliografie zeigt zwar, dass Guttenberg die Quelle verwendet hat, aber nicht wo und wie -- und das Zitat ist an der entscheidenden Stelle nicht kenntlich gemacht;
  • Direkte Kopie mit Fußnotenbeleg, der zwar darauf hinweist, dass die Information aus einer Quelle stammt; aber Guttenberg zitiert nicht in indirekter Rede oder mit Anführungszeichen, es gibt keine Kennzeichnung, dass dies nicht seine Zusammenfassung ist, sondern eine wortwörtliche Übernahme.
All das geht so natürlich nicht. Die Verstöße gegen die üblichen wissenschaftlichen Zitierregeln sind klar erkennbar. Dabei ist eigentlich egal, ob dahinter eine Täuschungsabsicht stand (eher nicht anzunehmen) oder ob Guttenberg einfach nur schlampig war.

Jeder, der eine umfangreiche Arbeit schreibt, ist in Gefahr, bei der Vielzahl verwendeter Textauszüge durcheinander zu kommen. Und im Textverarbeitungsprogramm passiert es auch schon einmal, dass beim Redigieren unbeabsichtigt eine Fußnote gelöscht wird. Das ist ärgerlich, aber ein nachvollziehbarer redaktioneller Fehler – ähnlich wie ein Zahlendreher oder ein fehlender Halbsatz.

Allerdings erklärt das nicht, warum ganze Passagen ohne Anführungszeichen in Guttenbergs Text stehen oder warum er nicht im Text Hinweise auf die Quelle einfügt.

Es ist unwahrscheinlich, dass man dem Minister daraus einen Strick dreht. Wahrscheinlich wird der Ombudsmann einige schwere und einige weniger schwere Fehler offiziell feststellen, seine Prüfer werden sagen, es sei trotz allem eine hervorragende Arbeit, vielleicht erhält er eine öffentliche, peinliche Rüge, der Minister wird die Fehler bedauern und sich in den Medien und demnächst in Bundestagsdebatten ein paar schadenfrohe Sprüche der Opposition gefallen lassen müssen. Wenn nicht noch etwas Skandalöses herauskommen sollte, etwa wenn Guttenberg die Thesis von einem Mitarbeiter oder bezahltem Ghostwriter hätte schreiben lassen, wird's das dann aber gewesen sein. Eine dumme Episode, die wieder einmal etwas den Lack vom Hochglanzimage des Politikers abplatzen lässt.

Studenten kommen in der Regel nicht so einfach davon. Selbst wenn die Prüfer einzelne fehlende Quellenangaben nicht als absichtsvolle Täuschung ansehen und die Arbeit sonst ordentlich ist, kann es zumindest zu Notenabzug kommen. Was eben noch als "sehr gut" bewertet worden wäre, wird auf "befriedigend" herabgestuft. Aber wenn solche Plagiate mehrfach auftauchen, ist auch ein "nicht ausreichend" drin - durchgefallen.

Um solche Fehler zu vermeiden, hilft nur Sorgfalt im Umgang mit Quellen von Anfang an. Außerdem der Einsatz eines Literaturverwaltungsprogramms.

Mehr über Plagiate, Plagiatjäger und Anti-Plagiat-Software sowie zum Umgang der Hochschulen mit Plagiaten:
Schmankerl:
Die Legal Tribune über "Juristische Prüfungsarbeiten - Von der hohen Kunst des kaltblütigen Plagiats" oder: "Wenn schon, dann bitte gekonnt. Eine Anleitung zur erfolgreichen Hochstapelei."

    1. Februar 2011

    Hypothese


    Eine angehende Wirtschaftsjuristin fragt: "Wenn ich in meine Arbeit eine Hypothese aufnehmen möchte, muss ich dann auch empirisch forschen?" Ihre Arbeit beschäftigt sich mit der Bagatellkündigung.

    Nein. Eine Hypothese ist nur eine Annahme oder Behauptung, die im Zuge der Arbeit bestätigt oder widerlegt werden soll (wissenschaftliche Beweisführung). Wie Sie das machen, spielt dabei im Prinzip keine Rolle.

    Allerdings wird der Begriff Hypothese vorwiegend in den empirischen Wissenschaften verwendet, wo es um Beobachtung und Messen geht, also um Erfahrung. Die Hypothese soll also durch Argumente auf Basis von Daten und Fakten belegt bzw. in Naturwissenschaften "bewiesen" werden. Wikipedia liefert eine Definition des Begriffs Hypothese. Werner Stangls Ausführungen sind eine gute Ergänzung.

    In den Rechtsfächern geht es dagegen meist eher um die Auslegung von Gesetzen und anderen Normen, um die Anwendung der (juristischen) Rationalität (auf Einzelfälle) und nicht um Erfahrung, Beobachtung, Messen. Siehe zum Unterschied zwischen empirischen und nicht-empirischen Wissenschaften den Wikipedia-Artikel zu Empirie.

    Allerdings kann es gerade in der Verbindung von Wirtschaft und Recht zu einer Kombination kommen. Wenn Sie die "Bagatellkündigung" untersuchen, also z.B. prominente Fälle wie den der Kaisers/Tengelmann-Kassierin "Emmely" oder diverse andere, die in den Medien bekannt geworden sind, dann können Sie natürlich erst einmal die verschiedenen Fälle zusammentragen, die Fälle beschreiben: Was passierte tatsächlich, wie verhielten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer, warum verhielten sie sich so, wer äußerte sich noch dazu - z.B. Betriebsräte, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Experten -, was waren die Kernpunkte der Kontroverse? Kommt es zu Urteilen oder zu ausgehandelten Vergleichen/Einigungen? Das ist erst einmal eine empirische, in diesem Fall wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Beobachtung. Wenn Sie eine eigene empirische Untersuchung vornehmen wollten, könnten Sie sehr unterschiedliche Dinge untersuchen. Dokumente, Medienberichterstattung, sogar eigene Interviews und Befragungen könnten eine Rolle spielen.

    Bekanntlich gibt es in der Sache eine kontroverse Debatte darum, ob die "formaljuristische" Vorgehensweise fair ist oder nicht. Am Ende geht es um Gerechtigkeit -- und die Diskrepanz zwischen dem, was rechtlich meist korrekt ist . Man kann das aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln analysieren, z.B. aus der Perspektive des betriebswirtschaftlichen Personalmanagements. Wenn Sie solche Quellen betrachten, sind Sie immer noch auf empirischem Terrain.

    Wenn Sie sich dagegen auf die arbeitsrechtlichen Entscheidungen konzentrieren, geht es um die Anwendung der Gesetze auf die jeweiligen Einzelfälle und ihre Begründung bzw. die juristischen Argumente von Anwälten und Gerichten. Das ist juristische Kasuistik und ist keine empirische Untersuchung mehr.
    Insofern wäre es möglich, die Thesis in einen empirischen Teil und einen nicht-empirischen Teil zu gliedern. Der erste schlüsselt das soziale Phänomen der Bagatellkündigung in den Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf, der zweite untersucht die rechtwissenschaftliche Argumentation. Oder Sie konzentrieren sich in der Thesis auf eine der beiden Perspektiven und benutzen dafür die jeweils geeigneten wissenschaftlichen Werkzeuge.