25. Mai 2011

Allgemeinwissen in der Arbeit - zitieren oder nicht?

Eingeschworen auf korrektes Zitieren, fragen sich Studenten gerade bei Einführung und den ersten Abschnitten des Hauptteils, ob man wirklich ALLES belegen muss. Es fragt sich eine Studentin, "ob ich beim ersten Teil, der nur die Kopenhagener Kriterien und das Beitrittsverfahren erläutern soll auch schon mit Quellen arbeiten muss? Normalerweise belege ich alles, was ich schreibe, aber das Beitrittsverfahren wird in so vielen Quellen erläutert, und es scheint mir komisch, alle  zu nennen oder mir eine auszusuchen, weil es ja ganz allgemeines Wissen ist."

Allgemeinwissen muss man nicht zitieren. Das betrifft nicht nur Aussagen wie "Der Tag hat 24 Stunden" oder "Morgens geht die Sonne auf". In einer Arbeit wie oben dürfen auch Fachinhalte vorausgesetzt werden. Wenn die Studentin die Kopenhagener Kriterien der EU und das Beitrittsverfahren in eigenen Worten erklärt, darf sie das zu fachlichem Allgemeinwissen erklären. Was das ist, hat sie im Studium gelernt. Zum Beispiel:
Die Kopenhagener Kriterien bestimmen seit 1993 die Bedingungen für eine Vollmitgliedschaft in der EU.
Das steht so oder ähnlich in -zig Quellen.  Sie darf es dennoch ohne Beleg so schreiben.

Anders sieht es natürlich aus, wenn sie spezielle Definitionen, Positionen oder Interpretationen eines Autors wörtlich zitiert. Dann ist der Beleg unverzichtbar.  

Aber wie erkennt die Studentin, wo die Grenze zwischen Allgemeinwissen und Nicht-Allgemeinwissen ist? Gar nicht so einfach. In Ordnung wäre der Verzicht durchaus bei einer Bewertung, die in der Fachwelt (soweit für die Studentin feststellbar) allgemein akzeptiert wird, z.B. so:
Die Kopenhagener Kriterien gelten als kompliziert, sind für manche Länder schwer erfüllbar und für die EU schwierig zu überprüfen.
Allerdings kann man der Auffassung sein, dass die Studentin hier eine Behauptung aufstellt -- möglicherweise gibt es in der Literatur auch die gegenteilige Position, z.B. dass die Kopenhagener Kriterien ganz simpel und einfach überprüfbar sind. Dann ist das also kein fachliches Allgemeinwissen, sondern eine umstrittene Bewertung. Sinnvoller wäre es dann, die unterschiedlichen Auffassungen gegenüberzustellen und entsprechend zu belegen. Beispiel: 
Die Kopenhagener Kriterien gelten in der Literatur teilweise als kompliziert, als für manche Länder schwer erfüllbar und für die EU schwierig zu überprüfen (so etwa Müller, 2008, S. 34). Andere Autoren sehen das weniger kritisch und halten die Kriterien für einen leicht erfüllbaren und überprüfbaren Standard (z.B. Schmidt, 2009, S. 98).
Wenn es um Allgemeinwissen geht, stellt sich auch häufig die Frage, ob man aus Lexika zitieren soll. Kommt drauf an. Lexika sind als Bücher in jedem Fall zitierfähig, aber nicht unbedingt zitierwürdig. Kleinere Universallexika für den Hausgebrauch bieten vor allem Allgemeinwissen – siehe oben. Große Enzyklopädien und Fachlexika hingegen beinhalten teilweise lange Aufsätze mit Spezialinformationen. Die gehören dann im Zweifelsfall zitiert.

Die Wikipedia ist ein Sonderfall. Sie ist nicht genau einzuordnen. Teilweise gehen die Artikel über Allgemeinwissen nicht hinaus, in anderen Fällen findet man dort umfangreiche Aufsätze mit sehr viel Spezialinformationen. Zur Qualitätsprüfung und zum an den Hochschulen umstrittenen Wikipedia-Verbot siehe den Blogeintrag "Quelle Wikipedia - verboten oder erlaubt?".

5 Kommentare:

  1. Vielen Dank für diese hilfreiche Information, genau das habe ich gesucht. Wie ich zitiere weiß ich, aber wann ich überhaupt zitieren muss und wann nicht, hat dieses Beispiel prima veranschaulicht!

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  2. Danke, der Beitrag war für mich wirklich aufschlussreich!

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  3. Boah Dankee!! Das hat mir geholfen :)

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  4. Endlich eine klar verständliche Aussage!

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  5. Siehe dazu auch den Blogbeitrag http://w-wie-wissenschaft.blogspot.de/2017/04/noch-einmal-allgemeinwissen-zitieren.html

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