7. Juli 2012

Selbstständige und unselbstständige Quellen im Literaturverzeichnis


"Sie haben angemerkt, dass selbstständige Quellen im Quellenverzeichnis der Belegarbeit in kursiver Schrift stehen. Was kann ich unter selbstständigen Quellen verstehen", fragt eine Studentin.

Ob sie kursiv gesetzt werden müssen, hängt vom Zitationsstil ab (bei manchen ja, bei anderen nein). Der Sinn der Sache ist es, die Hierarchie der Quellen klarer sichtbar zu machen. Anders als bei der inhaltlichen Quellenhierarchie (primär, sekundär, tertiär) geht es hier um eine rein formale Unterscheidung.

Manchmal verlangen Dozenten sogar, das Literatur- oder Quellenverzeichnis nach selbstständigen und unselbstständigen Quellen zu gliedern.

Also, was ist eine selbstständige Quelle? Eine, die selbstständig erschienen ist. Zum Beispiel ein Buch. Wenn Sie den Titel wissen, können Sie es im Handel oder einer Bibliothek ordern. Auch eine Zeitung oder Zeitschrift erscheint selbstständig. Solche Quellen haben Ordnungsmerkmale wie z.B. internationale standardisierte Nummern: Ein Buch hat immer eine ISBN (International Standard Book Number), ein Presseerzeugnis/Periodikum eine ISSN (International Standard Serial Number). Auch elektronische Periodika haben oft eine ISSN.

Anders ist es bei einem Aufsatz, der in einem Buch, einer Zeitung oder einer Zeitschrift erschienen ist. Wenn Sie den Aufsatz-Titel XYZ wissen, können Sie dem Bibliothekar nicht einfach sagen: "Guten Tag, ich möchte bitte einmal XYZ ausleihen." Sie können auch nicht XYZ bei Amazon bestellen. Für einen einzelnen Artikel gibt es auch keine ISBN/ISSN (allerdings: bei elektronischen Publikationen werden auch einzelne Artikel mit einer DOI-Nummer versehen, dem Digital Object Identifier).

Sie können das Buch oder die Ausgabe der Zeitschrift bestellen, in dem der Aufsatz erschienen ist, aber nicht direkt den Aufsatz. Unselbständige Quellen sind also Teil einer anderen Quelle. Sie sind unselbstständig, weil sie ohne das größere Werk (als Trägermedium sozusagen) nicht existieren würden. Ein Buchkapitel kann ohne Buch nicht erscheinen, ein Zeitschriftenaufsatz nicht ohne die Zeitschrift.

Bei Online-Quellen trägt die Logik auch. In der Regel gibt es eine Website (=Publikationsort im Web, also Trägermedium), die aus mehreren Seiten ("Webseite", nicht identisch mit engl. Website) besteht. Auf einer Seite kann auch z.B. eine doc- oder pdf-Datei stehen. Die einzelne Seite ist eine unselbstständige Quelle, die ohne die Website nicht erschienen wäre.

Unselbstständig? Dann zwei Quellen angeben, nicht nur eine

Praktisch heißt das: Wenn Sie eine unselbstständige Quelle im Literatur- oder Quellenverzeichnis belegen, müssen Sie zwei Quellen angeben. Nämlich Autor und Titel der unselbstständigen Quelle UND Herausgeber (eines Sammelbandes mit mehreren Aufsätzen) und Titel bzw. bei einer Zeitschrift nur der Titel derselben (ohne Hrsg. oder Verlag) und sonstige Angaben zur selbstständigen Quelle, mit denen Sie präzisieren, wo genau die unselbstständige Quelle zu finden ist.
Beispiel in unterschiedlichen Zitationsstilen zum Vergleich:
APA-Zitationsstil:
Kersting, N. (2004). Briefwahl im internationalen Vergleich. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 33(3), S. 341-358.
Chicago-Zitationsstil:
Kersting, Norbert. „Briefwahl im internationalen Vergleich.“ Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 2004: 341-358.
MLA- und Turabian-Zitationsstil:
Kersting, Norbert. „Briefwahl im internationalen Vergleich.“ Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 2004: 341-358.
ISO690-Zitationsstil:
Kersting, Norbert. 2004. Briefwahl im internationalen Vergleich. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft. 2004, Bd. 33, 3, S. 341-358.

Kersting ist hier der Autor der unselbstständigen Quelle. Es ist ein Aufsatz in einer Zeitschrift. Dessen Titel steht hier nicht kursiv. Die selbstständige Quelle ist die ÖZP. Ihr Name ist kursiv gesetzt. Vorteil: In einem Quellenverzeichnis kann ich so besonders schnell sehen, welche Zeitschriften verwendet wurden.

"33(3)" heißt bei APA 33. Jahrgang (bzw. Band 33), Heft 3. Merke: Bei manchen Zitationsstilen werden Jahrgang und Heft angegeben, bei manchen nicht. Die Seitenzahlen kommen hinterher. Der ganze letzte Teil ist nur dazu da, dass der Nutzer die unselbstständige Quelle schnell finden kann. Wenn ich nur diese Information hätte:
Kersting, N. (2004). Briefwahl im internationalen Vergleich.
...dann müsste ich ziemlich lange suchen, vielleicht fände ich das "Trägermedium" gar nicht.Wenn ich nur diese Information hätte:
Kersting, N. (2004). Briefwahl im internationalen Vergleich. Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft.
...dann könnte ich immerhin im Jahresregister der ÖZP nachsehen, in welcher der jährlich vier Ausgaben der Aufsatz erschienen ist. Das geht heute fix online, früher musste man richtig lange in dicken Registerbänden blättern oder Fachbibliographien wälzen.

Manche Zitationsstile verzichten auf die Jahrgangs- und Heftangabe, wenn (a) das Jahresdatum und (b) die Seitenangaben vorhanden sind -- den wissenschaftliche Zeitschriften haben die Eigenart, meist die Seiten eines ganzen Jahrgangs durchzunummerieren (die Seitenzahlen des 2. Heftes beginnen dort, wo die des 1. Heftes aufhören).

Den Computer die Quellen verwalten lassen

Trotz allem: Um dem Nutzer mühselige Ergänzungsrecherchen zu ersparen, gilt es, alle bibliographischen Angaben präzise anzugeben. Damit man keine vergisst und alles richtig formatiert wird (mit Punkten, Kommata, Klammern und auch Kursivschrift), ist es sinnvoll, ein Literaturverwaltungsprogramm oder die Quellenverwaltung von Word zu nutzen. Dann sortiert und listet der Computer alles so, wie es der gewählte Zitationsstil vorgibt. (Vorausgesetzt, die Eingaben sind richtig.)

Mehr zu verwandten Themen in den
Rubriken "Quellen", "Literaturverwaltung" und "Zitieren"

Blogposts

2. Juli 2012

Aus Abschlussarbeiten zitieren

"Darf man aus anderen Bachelor- bzw. Abschlussarbeiten zitieren?", fragt eine Studentin. Ja, man darf -- im Prinzip und mit Einschränkungen. Lesen Sie dazu den Beitrag "Studentische Hausarbeiten als Quelle? Zitierfähig, aber nicht zitierwürdig" (7.6.2011). Dieselben Hinweise und Warnungen gelten auch für Abschlussarbeiten.

Wieder einmal dreht sich alles um das Begriffspaar "zitierfähig und zitierwürdig".Alle Abschlussarbeiten sind - anders als Seminararbeiten - dauerhaft öffentlich in einer Bibliothek verfügbar (es sei denn, es gilt ein Sperrvermerk). Zusätzlich stellen viele Absolventen ihre Arbeiten bei Online-Anbietern (z.B. GRIN-Verlag, Hausarbeiten.de u.v.a.) gegen Entgelt ein, oder sie publizieren sie sogar in einem Verlag (meist nur Diplom- und Masterarbeiten). Auch damit sind sie dauerhaft öffentlich verfügbar. Rein formal sind Abschlussarbeiten zitierfähig.

Die Zitierwürdigkeit ist damit noch nicht gegeben. Entscheidend ist die inhaltliche Qualität, und die ist sehr kritisch zu überprüfen, wie im o.g. Blogpost ausgeführt.

Wie "gut" sind Abschlussarbeiten?

Es gibt wissenschaftlich sehr gute, weniger gute und ziemlich miserable Abschlussarbeiten. Nur weil jemand einen Abschluss geschafft hat und deshalb seine Abschlussarbeit in einer Bibliothek steht, sagt über die Qualität wenig aus: höchstens, dass sie in jedem Fall die Mindeststandards erfüllt.

Zwar haben Professoren (besonders bei Bachelor-Arbeiten allerdings häufig auch Nicht-Professoren!) die Arbeit betreut und begutachtet. Das ist aber nicht dasselbe wie wissenschaftlicher Peer Review bei einer Fachzeitschrift oder wenigstens das Lektorat bei einem wissenschaftlichen Verlag, der auf seine Reputation achtet.

Ob jemand exzellent oder gerade mit Ach und Krach seine Prüfung bestanden hat, ob Teile davon gut oder schlecht von den Gutachtern der Arbeit bewertet wurden, was deren Maßstäbe waren oder ob die Gutachter die Thesis überhaupt genau angeschaut haben -- das wissen Sie alles nicht.

Jedenfallls: Sie sollten die ganze Arbeit kennen. Flugs zu googeln und dann einen dreiseitigen Auszug bei GRIN auszuwerten -- das ist schlecht, weil Sie sich dann kein Gesamturteil bilden können. Zum Beispiel mag eine Passage sehr gut klingen, aber wenn Sie die Einleitung und den Schlussteil lesen, die Gliederung oder das Quellenverzeichnis ansehen würden, könnten diese Ihnen wichtige Hinweise geben, ob der Autor solide gearbeitet oder geschlampt hat.

Lassen Sie sich per Fernleihe die Arbeit aus der jeweiligen Hochschulbibliothek kommen, wenn die Thesis nicht in Ihrer eigenen Bibliothek eingestellt ist. 

Bachelor-Arbeiten: Abschlussarbeiten zweiter Klasse

Besonders vorsichtig wäre ich mit Bachelor-Arbeiten. Ohne irgendjemandem auf die Füße treten zu wollen: Bachelor-Arbeiten sind Abschlussarbeiten zweiter Klasse.

Lesen Sie dazu den Beitrag "Bachelor- und Masterarbeiten: der kleine, große Unterschied" (28.12.2010). Eine Bachelor's Thesis erreicht nicht nur nicht den Umfang, sondern auch selten die Qualität einer Master-Arbeit. Selbstständige Forschung ist selten enthalten. Außerdem basieren Bachelor-Arbeiten vorwiegend auf Sekundärquellen, manchmal sogar stark auf Tertiärquellen wie Lehrbüchern und Lexika (dazu: "Primäre, sekundäre und tertiäre Quellen", 29.6.2012). Letzteres sollte nicht so sein, ist aber durchaus häufig.

Ob ein Bachelor-Abschluss wirklich ein wissenschaftlicher Abschluss ist, darüber wird unter Professoren seit jeher gestritten. Daraus ergibt sich die Frage, ob eine Bachelor-Arbeit wirklich eine wissenschaftliche Arbeit ist (oder nur so aussieht). Vom Umfang her ist sie einer Seminararbeit vergleichbar; viele der Papers, die meine Master-Studenten in einem Seminar schreiben, sind deutlich umfangreicher als die meisten Bachelor-Arbeiten. Und meistens besser.


Wenn Sie also Abschlussarbeiten heranziehen, dann möglichst Arbeiten auf höherem Niveau, also Master/Diplom (usw.).


Gründe, weshalb Sie Abschlussarbeiten zitieren wollen könnten 

Warum genau wollen Sie die Abschlussarbeit zitieren? Wirklich deshalb, weil...
  • die Arbeit besonders originelle Einsichten gewährt, die es anderswo noch nicht gab? 
  • sie sehr spezifisch Ihr Thema/Ihre Fragestellung trifft, das oder die so noch nicht aufgearbeitet wurde?
  • sie brandaktuelle Ergebnisse eines eigenen Forschungsprojekts präsentiert?
Wenn das so ist, haben Sie einen guten Grund. Auch ich als Professor habe bereits Abschlussarbeiten zitiert, weil sie wirklich einen guten Beitrag in der "wissenschaftlichen Community" geleistet haben -- durch exzellente Fallstudien, eigene Erhebungen, durchdachte Argumentation und Konzepte. Und weil es wirklich nichts Besseres gab.

Aber mal ehrlich: Vielfach...
  • bieten Studenten in ihrer Thesis nur eine Zusammenfassung der existierenden Forschung. Sie ist nur eine Sekundärquelle unter anderen, und dabei sicher nicht die beste Wahl, verglichen mit den Publikationen etablierter Wissenschaftler.
  • zitieren Studenten andere Studenten nur deshalb, weil die Arbeiten online oder offline komfortabel zu beschaffen sind. Mit anderen Worten: aus Bequemlichkeit.
Abschlussarbeiten zitieren – weil's bequem ist?

Fakt: Es ist viel einfacher, eine "passende" Abschlussarbeit zu finden als eine "passende" Studie eines Wissenschaftlers. Forscher publizieren Bücher (Monographien) -- aber selten. Sie publizieren weit mehr Aufsätze in Fachzeitschriften oder Buchkapitel; beides finden Sie viel schlechter durch Googeln, Sie müssen in mehreren Literatur-Datenbanken recherchieren oder Fachzeitschriften-Inhalte durchblättern oder sich die Inhaltsverzeichnisse von Büchern ansehen.

Wenn Sie sich auskennen im "Fachdiskurs" und die wichtigen Zeitschriften kennen, wenn Sie wissen, in welchen wissenschaftlichen Fachgesellschaften wer mit wem über was bei welchen Kongressen und Tagungen diskutiert, ist das einfach. Viele Studenten kennen sich aber nicht so aus. Selbst wenn sie Virtuelle Fachbibliotheken oder Akademische Suchmaschinen nutzen, fällt die Orientierung oft schwer.  

Die am besten geeigneten, spezialisierten, aktuellen Forschungsbeiträge zu finden, ist für Nichtexperten mühsam. Da ist der Griff zu Abschlussarbeiten, bei denen andere Studenten sich schon die Mühe gemacht haben, komfortabler. Die interessante Frage ist: Wieviel Mühe haben sie sich tatsächlich gemacht? Oder haben sie auch nur den bequemeren Weg gewählt?

Notabene: Es gibt viel mehr Studenten als Wissenschaftler, und Projekte von Studenten sind viel kürzer als Projekte von Wissenschaftlern. Der Output der Studenten ist größer. Insofern ist es bei oberflächlicher Recherche wahrscheinlicher, dass Sie auf eine aktuelle Abschlussarbeit stoßen als auf eine aktuelle Studie eines Berufsgelehrten.

Die Sache mit der Aktualität 
Überhaupt, das Aktuelle. Ich höre oft das Argument der Aktualität: Die Abschlussarbeit sei doch die aktuellste wissenschaftliche Veröffentlichung zu Thema X. Naja:
  • Erstens ist der Begriff  "wissenschaftliche Veröffentlichung" oder überhaupt "Veröffentlichung" sehr dehnbar. 
  • Zweitens basieren Abschlussarbeiten, wie oben gesagt, häufig auf Sekundärquellen; und wie aktuell diese wiederum sind, ist offen. Eine 2012 eingereichte Arbeit mag wesentlich auf Sekundärquellen der Jahre 1995 bis 2005 beruhen. Wie aktuell ist das denn?

Also: Aktuell nach welchem Maßstab? Wenn Sie die aktuellste wissenschaftliche Forschung haben wollen, dann suchen Sie in wissenschaftlichen Fachzeitschriften, außerdem nach "working papers" und Einzelstudien, die von Lehrstühlen oder Instituten herausgegeben werden.

Suchen Sie nach Vortragsskripten und Präsentationen namhafter Wissenschaftler, von denen Sie bereits wissen, dass diese Experten für Ihr Thema sind. Gehen Sie auf die Homepages dieser Wissenschaftler und durchforsten Sie deren Publikationslisten und Neuigkeiten-Rubrik. Diese dürften relativ aktuell und gut gepflegt sein.

Suchen Sie nach aktuellen Tagungen, auf denen Forschungsergebnisse präsentiert werden. Diese werden meist von den wissenschaftlichen Fachgesellschaften veranstaltet, in denen die Forscher Mitglied sind. Fragen Sie Ihren Betreuer danach, wenn Sie sie nicht finden.

Fazit: Vorsichtig und selektiv vorgehen  
Alles in allem: Vorsicht mit Abschlussarbeiten. Im Zweifelsfall sind die Studenten, die sie geschrieben haben, nicht besser oder schlauer oder sorgfältiger als Sie. Die beste Art, mit Abschlussarbeiten umzugehen, ist:

Prüfen Sie die Qualität der ganzen Arbeit, insbesondere die Quellengrundlage. Bilden Sie sich ein Urteil, bevor sie auf den Stapel der bevorzugten Quellen kommt.

Nutzen Sie vor allem das Quellenverzeichnis der Arbeit, um leichter zu erfassen, was für ein Thema wichtig ist, welche Autoren, Fachzeitschriften oder auch Internetportale guten Zugang zu spezialisierter Literatur bieten. Aber verlassen Sie sich nicht darauf, dass der Student, der diese Quellen recherchierte, den perfekten Blick auf die Literaturlage hatte. Wahrscheinlich hatte er ihn NICHT.

Wenn Sie in einer Abschlussarbeit ungemein passende, originelle Passage finden, die Sie unbedingt zitieren wollen, prüfen Sie genau, ob diese wirklich originell ist -- oder nur eine Zusammenfassung anderer Quellen, seien es Fakten oder Zahlen (diese sind ja selten das Produkt studentischer Forschung) oder Argumente und Interpretationen (oftmals auch nur Varianten anderer Autoren). Wann immer möglich, gehen Sie anhand der Quellenbelege zurück zur Ursprungsquelle!


Denken Sie schließlich daran, dass Studenten Fehler machen und manchmal pfuschen. Eine großartige, treffende Passage aus einer Abschlussarbeit, die keinen Quellenbeleg hat, mag die Leistung des Autors sein. Oder auch ein Plagiat. Und das wollen Sie bestimmt nicht in Ihrer Arbeit haben.