Eine angehende Wirtschaftsjuristin fragt: "Wenn ich in meine Arbeit eine Hypothese aufnehmen möchte, muss ich dann auch empirisch forschen?" Ihre Arbeit beschäftigt sich mit der Bagatellkündigung.
Nein. Eine Hypothese ist nur eine Annahme oder Behauptung, die im Zuge der Arbeit bestätigt oder widerlegt werden soll (wissenschaftliche Beweisführung). Wie Sie das machen, spielt dabei im Prinzip keine Rolle.
Allerdings wird der Begriff Hypothese vorwiegend in den empirischen Wissenschaften verwendet, wo es um Beobachtung und Messen geht, also um Erfahrung. Die Hypothese soll also durch Argumente auf Basis von Daten und Fakten belegt bzw. in Naturwissenschaften "bewiesen" werden. Wikipedia liefert eine Definition des Begriffs Hypothese. Werner Stangls Ausführungen sind eine gute Ergänzung.
In den Rechtsfächern geht es dagegen meist eher um die Auslegung von Gesetzen und anderen Normen, um die Anwendung der (juristischen) Rationalität (auf Einzelfälle) und nicht um Erfahrung, Beobachtung, Messen. Siehe zum Unterschied zwischen empirischen und nicht-empirischen Wissenschaften den Wikipedia-Artikel zu Empirie.
Allerdings kann es gerade in der Verbindung von Wirtschaft und Recht zu einer Kombination kommen. Wenn Sie die "Bagatellkündigung" untersuchen, also z.B. prominente Fälle wie den der Kaisers/Tengelmann-Kassierin "Emmely" oder diverse andere, die in den Medien bekannt geworden sind, dann können Sie natürlich erst einmal die verschiedenen Fälle zusammentragen, die Fälle beschreiben: Was passierte tatsächlich, wie verhielten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer, warum verhielten sie sich so, wer äußerte sich noch dazu - z.B. Betriebsräte, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Experten -, was waren die Kernpunkte der Kontroverse? Kommt es zu Urteilen oder zu ausgehandelten Vergleichen/Einigungen? Das ist erst einmal eine empirische, in diesem Fall wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Beobachtung. Wenn Sie eine eigene empirische Untersuchung vornehmen wollten, könnten Sie sehr unterschiedliche Dinge untersuchen. Dokumente, Medienberichterstattung, sogar eigene Interviews und Befragungen könnten eine Rolle spielen.
Bekanntlich gibt es in der Sache eine kontroverse Debatte darum, ob die "formaljuristische" Vorgehensweise fair ist oder nicht. Am Ende geht es um Gerechtigkeit -- und die Diskrepanz zwischen dem, was rechtlich meist korrekt ist . Man kann das aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln analysieren, z.B. aus der Perspektive des betriebswirtschaftlichen Personalmanagements. Wenn Sie solche Quellen betrachten, sind Sie immer noch auf empirischem Terrain.
Wenn Sie sich dagegen auf die arbeitsrechtlichen Entscheidungen konzentrieren, geht es um die Anwendung der Gesetze auf die jeweiligen Einzelfälle und ihre Begründung bzw. die juristischen Argumente von Anwälten und Gerichten. Das ist juristische Kasuistik und ist keine empirische Untersuchung mehr.
Insofern wäre es möglich, die Thesis in einen empirischen Teil und einen nicht-empirischen Teil zu gliedern. Der erste schlüsselt das soziale Phänomen der Bagatellkündigung in den Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf, der zweite untersucht die rechtwissenschaftliche Argumentation. Oder Sie konzentrieren sich in der Thesis auf eine der beiden Perspektiven und benutzen dafür die jeweils geeigneten wissenschaftlichen Werkzeuge.
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