24. Juni 2012

Rubriken fürs Quellenverzeichnis: Warum die Rubrik "Internetquellen" Unsinn ist - Alternativen

Quellenverzeichnisse sind oft schlicht alphabetisch nach Autor geordnet - manchmal auch nach Datum (Vancouver Style). Nun sind Quellen aber nicht gleich Quellen. Zwischen einer wissenschaftlichen Monographie und einem Blog-Post liegen Welten. Daher empfehlen viele Ratgeberwerke, das Quellenverzeichnis in Rubriken zu ordnen. Dafür spricht viel.

In studentischen Seminararbeiten gibt es allerdings oft nur zwei: "Bücher" und "Internetquellen". Das ist dann meistens Unfug.

Was passiert ist: Der Student hat sich 2-3 Bücher aus der Bibliothek geholt und den Rest online recherchiert. Gedruckte Fachzeitschriften oder sonstiges Druckwerk hat er gar nicht erst angesehen. Alles, was "im Internet" zu finden war, kommt nun in die Kategorie "Internetquellen". Die Rubrik umfasst dann aber meistens so ziemlich alles, was es so gibt unter der Sonne. Die Quellentypen haben überhaupt nichts gemeinsam -- außer dass sie "im Internet" sind.

Alles im selben Topf: Wissenschaftliche Fachzeitschriften-Aufsätze, Buchexzerpte aus GoogleBooks, Berichte und Studien, Konferenz- und Symposienbeiträge, Amtliches und Halbamtliches, Gesetzestexte und Gerichtsurteile, Artikel aus journalistischer Presse und Rundfunk, Unternehmens- und Verbände-Publikationen, Lexika, Statistiken, Datensätze, Videos und diverse Social-Media-Beiträge, was auch immer.

Genauso gut hätte der Student als Rubrik "Diverse Quellen und Allerlei" drüber schreiben können. Was natürlich nicht der Sinn der Rubrizierung ist.

Vor langer, langer Zeit war alles einfacher. Ein Buch war ein Buch, eine Zeitschrift eine Zeitschrift usw. Das Gedruckte dominierte die akademische Welt, und wenn man "graue Literatur" (also alles, was nicht Buch, Fachzeitschrift oder Presse war) zitierte, war das schon gewagt. Dann auch noch "Internet" zu zitieren, war etwas funky. Aber in jedem Fall die Ausnahme. Und "Internet", das hieß im Wesentlichen: simple HTML-Websites.

Heute gibt es praktisch jeden Quellentyp "im Internet". Zumindest aber, wenn nicht im freien Oberflächen-Internet im "Deep Web" verfügbar, jedenfalls in digitaler Form, vom E-Book in der Unibibliothek bis zum Fachzeitschriften-Aufsatz in der Datenbank eines wissenschaftlichen Verlags. Alles online abrufbar.

Also ist es sinnvoll, die Quellen nicht danach zu sortieren, ob sie digital sind oder nicht, sondern nach dem eigentlichen Charakter und Zweck der Quelle. Im Regelfall ist die formale Trennung immer noch so (davon ausgehend, dass alle digital und "im Internet" abrufbar sein können):
  • Bücher, 
  • periodische Werke (Fachzeitschrift, Zeitschrift, Zeitung, Newsletter usw.), 
  • "graue Literatur" (z.B. einzelne Forschungsberichte von Instituten, Veröffentlichungen staatlicher Stellen, von Unternehmen, Verbänden, Berufsorganisationen, kommerzielle und nichtkommerzielle Organisationen verschiedener Art -- bis hin zu Broschüren, Handzetteln oder gar Plakaten),
  • Beiträge zu Konferenzen, Tagungen, Symposien
  • Rechtsmaterialien
  • Sonstige Quellen (z.B. einfache Texte auf Websites, Film/Video/TV-Beiträge, unveröffentlichte Manuskripte, Online-Communities usw.)
Literaturverwaltungsprogramme (ob die eingebaute bei MS Word oder eine Extra-Software wie z.B. Citavi) sind da schon mal eine Hilfe: Sie zwingen dazu (oder ermöglichen es), vorgegebene Quellen-Kategorien auszuwählen.

Was davon genau nach wissenschaftlichem Standard zitierfähig und zitierfähig ist, sei jetzt einmal dahingestellt. Sinnvoll kann es sein, in Rubriken wissenschaftliche Literatur von nichtwissenschaftlichen Quellen zu trennen. Oder auch Primär-, Sekundär- und Tertiärquellen.

Was sonst noch zu trennen ist, hängt davon ab, woraus mein Quellenuniversum besteht.

Beispiel: In einer Seminararbeit zur Energiepolitik benötige ich diverse Artikel aus praxisnahen Fachmagazinen, Regierungs- und Parlamentsdokumente sowie amtliche Statistiken, Materialien von Verbänden der Energiewirtschaft, Materialien von sonstigen "Experten" -- die kommen von einer Unternehmensberatung, von Umwelt- oder Verbraucherorganisationen; und in einigen Blogs finde ich auch noch etwas.

All das ist zweifellos nach Charakter und Zweck anders als wissenschaftliche Bücher und Aufsätze. Sie bilden nicht nur Grundlagenliteratur, sondern sind Forschungsgegenstand. Im Fließtext behandle ich diese Quellen klar anders als die Ergebnisse akademischer Forschung. Im Quellenverzeichnis kann es sinnvoll sein, diese unterschiedliche Wertung durch Rubriken sichtbar zu machen. Z.B. "Amtliche Veröffentlichungen und Veröffentlichungen politischer Institutionen", "Veröffentlichungen von Interessengruppen", "Nichtakademische Fachpresse" und dergleichen. Dreht sich meine Arbeit ums Marktgeschehen, will ich möglicherweise nach Marktteilnehmern (kommerziellen Organisationen) und Nichtmarktteilnehmern (nichtkommerzielle Organisationen, sonstige Experten) trennen.

Geht man so vor, wird klar, dass es keine "One-size-fits-all"-Rubrikenkennung geben kann, es ist vom Inhalt der Arbeit abhängig. Rubriken muss man sich also passend selbst schaffen, statt auf ein "Schema F" zu hoffen.

Aufwändig? Ja, klar. Das ist nicht nur eine intelligente Vorgehensweise, sie zeigt auch, dass der Autor sehr quellenkritisch ist und Informationskompetenz zeigt. Und das dürfte dem begutachtenden Dozenten bestimmt ein paar Bonuspunkte wert sein.

1 Kommentar:

  1. Seit längerer Zeit lese ich mit großer Begeisterung Ihre Kolumnen dieses Blogs. Und immer wieder freue ich mich, dass es noch aufrechte und redliche Wissenschaftler gibt, die getreu althergebrachter rational

    nachprüfbarer Ordnungsprinzipien den Stellenwert wissenschaftlicher Dokumentation zu Zwecken der menschlichen Aufklärung hoch schätzen und dafür einiges Engagement zeigen. Ihre unermüdliches Engagement

    jedenfalls zeigt, dass auch es auch in Zeiten der vernetzten elektronischen Datenverarbeitung keineswegs aussichtslos ist, Klarheit und Verständigkeit für die nachwachsende Generation zu garantieren.
    Ich hoffe inständig, das Ihr Engagement in dieser Sache stets würdig und respektvoll behandelt wird. Möge ihr Blog als ein Monument der aufkläerischen Zuversicht die Wirrnisse des Internets überstrahlen und allen

    künftigen Generationen als Anleitung für eine prüfungsgenaue und dezidiert wissenschaftliche Dokumentationspflicht gelten.
    Ich bin begeistert! Klaus Kusanowsky.

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