28. Juli 2011

"Vgl." - eine seltsame Zitiermarotte

Vgl. heißt: Vergleiche. Viele Studenten belegen ihre Quellen so: "Vgl. Müller 2009, S. 12". Sie machen ds so, weil sie es auch bei ihren Profs und in Büchen sehen. Aber eigentlich ist das "Vgl." meistens Unsinn: Da gibt es gar nichts zu vergleichen. Entweder es ist ein Quellenbeleg, dann gehört da kein "Vgl." hin; oder es ist keiner, dann ist auch der ganze Beleg überflüssig. Eine Reihe von Politikern ist damit aufgefallen, schlampig zitiert zu haben, und dabei spielte auch ein sehr liberales Verwenden von "Vgl." eine Rolle -- weil das "Vgl." scheinbar erlaubt, großzügig mit den Originalquellen umzugehen, statt präzise zu zitieren.

In einem Interview mit der Zeit bringt der Bonner Jura-Professor Wolfgang Löwer das Problem auf den Punkt:

ZEIT: Warum reicht dann die Formulierung »Vergleiche Professor X« nicht aus?

Löwer: Weil diese Formulierung nichts erklärt. »Vergleiche« heißt: Lieber Leser, du kannst bei Professor X Weiteres zum Thema lesen. Wenn meine Studenten in einer juristischen Prüfungsarbeit »Vergleiche« schreiben, notiere ich am Rand immer: »Warum geben Sie mir Leseempfehlungen? Ich möchte Belege.«

ZEIT: Sie selbst schreiben niemals »Vergleiche«?

Löwer: Doch, zum Beispiel in Beiträgen für ein Handbuch oder Lexikon, die funktionsgemäß bekanntes Wissen zusammenfassen. Da setzt man einmal eine Fußnote mit der wichtigsten Literatur. Ein guter Wissenschaftler erstellt dann jedoch keine Collage aus den verschiedenen fremden Texten, sondern schreibt seinen Artikel, ohne die Sprachgestalt der angegebenen Literatur zu benutzen. Dadurch entfernt er sich sprachlich von den Schriften seiner Kollegen und schafft etwas Eigenes.
Quelle: Spiewak, M. (2011, 14. Juli). Vergleiche? Belege! Die Zeit 29, online auf http://www.zeit.de/2011/29/B-Loewer-Interview [28. Juli 2011].

26. Juli 2011

Plagiat trotz Quellenbeleg

Die Angabe der Quelle ist das A und O, um Plagiate zu vermeiden -- aber es kommt auch auf die Zitierweise an. In diesem Beispiel hat eine Studentin plagiiert, obwohl sie die Quelle angegeben hat. Sicher kein bewusstes Plagiieren, sondern ein handwerklicher Fehler, aber trotzdem ein Verstoß gegen die Regeln der Wissenschaft:

Die Autorin übernimmt den Arte-Text fast wörtlich, markiert aber kein wörtliches Zitat mit Anführungsstrichen. Sie verändert den Text ganz leicht (unterstrichen). Es ist weder ein korrektes wörtliches Zitat noch indirekte Rede (stünde mit Konjunktiv). Erst recht ist es keine Wiedergabe/Zusammenfassung der Autorin in eigenen Worten (Paraphrase). Warum ist es ein Plagiat, obwohl die Quelle angegeben ist? Weil die Autorin den Eindruck erweckt, als habe sie den Absatz selbst geschrieben. Worauf sich der Quellenbeleg bezieht, ist unklar. Er könnte z.B. bedeuten, dass die Autorin nur die Zahlenangaben aus dieser Quelle übernommen hat.


PLAGIAT
Erster Abschnitt aus der Einführung einer Belegarbeit

Mit dem bis dahin größten Streik- und Protesttag gegen die Rentenreform 2010 hatten die französischen Gewerkschaften den Druck auf Staatschef Nicolas Sarkozy erhöht. Zahlreiche Lehrer, Eisenbahner und weitere Beamte, aber auch viele Beschäftigte der Privatwirtschaft legten die Arbeit am 24. Juni 2010 nieder. Die Gewerkschaften gingen von bis zu zwei Millionen Teilnehmern auf ungefähr 200 Kundgebungen im ganzen Land aus.
Mit Parolen wie „Rührt meine Rente nicht an!" gingen allein in Paris zehntausende auf die Straße (siehe Abb. 1). Dort und in rund 65 weiteren Städten wurde der Nahverkehr teilweise lahmgelegt. Auch Schulen, Kindergärten und Behörden wurden bestreikt. Die Streiks führten zu erheblichen Behinderungen im Bahn- und Flugverkehr. Etwa jeder zweite Hochgeschwindigkeitszug TGV und jeder vierte Regionalzug fielen aus. Ungewöhnlich stark wurde der Aufruf zum Arbeitskampf in der Privatindustrie befolgt, denn auch in vielen Großbetrieben ruhte die Arbeit. (Arte Journal, 2010)
ORIGINAL
Arte Journal (2010, 24. Juni). Frankreich: Streik gegen Sarkozys Rentenreform. Arte Journal, online verfügbar auf http://www.arte.tv/de/3292604.html [27. Juli 2011].
Mit dem bisher größten Streik- und Protesttag gegen die Rentenreform haben die französischen Gewerkschaften den Druck auf Staatschef Nicolas Sarkozy erhöht. Zahlreiche Lehrer, Eisenbahner und weitere Beamte, aber auch viele Beschäftigte der Privatwirtschaft legten die Arbeit nieder. Die Gewerkschaften gehen von bis zu zwei Millionen Teilnehmern auf rund 200 Kundgebungen im ganzen Land aus.
Mit Parolen wie "Rührt meine Rente nicht an!" gingen allein in Paris zehntausende auf die Strasse. Dort und in 65 anderen Städten wurde der Nahverkehr teilweise lahmgelegt. Auch Schulen, Kindergärten und Behörden wurden bestreikt. Die Streiks führten zu erheblichen Behinderungen im Bahn- und Flugverkehr. Etwa jeder zweite Hochgeschwindigkeitszug TGV und jeder vierte Regionalzug fielen aus. Ungewöhnlich stark wurde der Aufruf zum Arbeitskampf in der Privatindustrie befolgt. In vielen Großbetrieben ruhte die Arbeit.
Wie wäre es richtig? 

Die Autorin suchte nach einem "szenischen" Einstieg in ihr Thema, die Rentenreform in Frankreich. Sie könnte die Arte-Quelle als Blockzitat einrücken, dann wäre klar, worum es sich handelt. Dann müsste sie aber auch präzise zitieren, dürfte den Text nicht verändern. Die bessere Alternative ist eine Paraphrase, also das Wiedergeben in eigenen Worten.

12. Juli 2011

Zitieren aus dem Englischen



Zwei Studentinnen grübeln bei ihrer Abschlussarbeit über das Zitieren aus dem Englischen. "Wenn ich aus einem englischen Text wörtlich zitieren will und ins Deutsche übersetze, handelt es sich dann um ein wörtliches Zitat oder kann dies bei einer Übersetzung nie vorliegen?", fragt die eine. "Ich bin mir unsicher, wenn ich englische Quellen nutze. Dann muss ich übersetzte Textpassagen doch sicher trotzdem als Zitate sichtbar machen? Ist dann ein Verweis bei der Quellenangabe wichtig, dass es sich um eine Übersetzung handelt?"

Einen Übersetzungszwang gibt es nicht. Im Gegensatz zu anderen Sprachen sind englischsprachige Originalzitate heute gang und gäbe. Wer das Original zitiert, hat den Vorteil, dass bei einer Übersetzung kein falscher Dreh in die Quelle kommt, und dass markante Begriffe so bleiben, wie sie sind. Der Nachteil: Sprachlich ist das nicht immer schön. Und wer zu viel zitiert, produziert in seinen Absätzen ein holperiges Denglisch.

Übersetzen ist erlaubt. Eine wörtlich übersetzte Quelle darf als wörtliches Zitat (also mit Anführungsstrichen) verwendet werden. Manchmal ist es nicht ganz einfach wortgetreu zu übersetzen. Die Alternative ist indirekte Rede (ohne Anführungszeichen, mit Konjunktiv) oder Paraphrasieren - eigene Zusammenfassung in Anlehnung an das Original. 

Freies Übersetzen ist zwar akzeptabel, aber eine Gratwanderung; notwendig ist das vor allem, wenn im Original schwer zu übersetzende Idiome auftauchen. Auf der IdiomSite gibt es eine schöne Sammlung englischsprachiger Idiome - bei vielen ist klar, dass eine wörtliche deutsche Übersetzung nur Unfug gebiert. Aber Online-Dictionaries bieten oft Foren, auf denen mögliche Übersetzungen diskutiert werden.

Wer ganz sichergehen will, gibt die Originalversion in einer Fußnote dazu -- aber das sollte die Ausnahme sein.

Wer übersetzt, fügt dem Kurzbeleg oder der Fußnote einen Hinweis hinzu, z.B. "(eigene Übersetzung)". Wer im gesamten Text übersetzte Quellenzitate benutzt, kann zu Beginn der Arbeit einmal darauf hinweisen, das reicht.

8. Juli 2011

Schnellballsystem: Wer hat das hier zitiert? Literaturdatenbanken klug nutzen

Wenn Sie Aufsätze und Bücher oder Buchkapitel in einer Literaturdatenbank gefunden haben, nutzen Sie die hilfreichen Zusatzfunktionen, um Publikationen zum selben Thema zu finden.

Jeder Artikel eines Wissenschaftlers ist schließlich in eine "laufende Konversation" eines Themas eingebunden - er zitiert andere, die vor ihm kamen, und wird zitiert von anderen, die nach ihm kommen.

Ein Beispiel. Ich interessiere mich für das Thema Radiofrequenzidentifikation (RFID), und zwar nicht so sehr für die technischen Aspekte, sondern für Datenschutz und Verbraucherschutz dieser oft als "Schnüffelchips" kritisierten modernen Technologie, die z.B. im Einzelhandel und Logistik sehr wichtig geworden ist.

In der Datenbank SpringerLink finde ich einen Aufsatz des amerikanischen Professors Alan R. Peslak im Journal of Business Ethics:
Peslak, A. R. (2005, Juli). An ethical exploration of privacy and radio frequency identification. Journal of Business Ethics 5(4):  327-345. DOI: 10.1007/s10551-005-2928-8
http://www.springerlink.com/content/r5v481kj3k453743/ [5. Juli 2011]
Schön, aber der Aufsatz ist immerhin sechs Jahre alt, seitdem hat sich die Welt ein paarmal gedreht. Wer hat Peslak danach zitiert? SpringerLink zeigt es mir an. Im Balken steht "Cited by (9)", das heißt, hier sind Links zu 9 Publikationen hinterlegt.




Ich klicke auf "Cited by (9)" und erhalte Quellen von 2006 bis 2010 aus so unterschiedlichen Zeitschriften wie Journal of Internet Commerce, Journal of Relationship Marketing,
Journal of Public Policy & Marketing, International Journal of Applied Logistics, International Journal of Operations & Production Management, IEEE Transactions on Engineering, International Journal of Management Reviews, Ethics and Information Technology, Journal of Business Ethics.




Keine schlechte Ausbeute. Die Artikel sind recht aktuell und scheinen sich mit ähnlichen Thematiken zu befassen. Das muss ich natürlich überprüfen. Kleiner Haken: Nur zwei von neun sind auch bei SpringerLink hinterlegt, also in der Datenbank, die der Springer-Verlag betreibt. Das sehe ich an den Symbolen unter der Fundstelle:

Den Wasieleski-Aufsatz kann ich mir also gleich hier ansehen, ich verlasse die SpringerLink-Datenbank nicht. Der Volltext ist für mich sofort verfügbar.

Mich interessieren aber auch die anderen. Dort ist ein anderes Symbol zu sehen: "CrossRef".Was ist "CrossRef"? Dahinter steckt ein Netzwerk, das vor allem von Wissenschaftsverlagen gepflegt wird. In der Wissenschaft ist es sehr wichtig, dass die Verlinkung von online veröffentlichten Literaturbelegen funktioniert (reference linking), effizient und verlässlich ist. Innerhalb einer Datenbank ist das einfach, aber Aufsätze und Bücher erscheinen ja nicht nur bei einem Verlag. Glücklicherweise arbeiten große Verlage zusammen, und zwar über "CrossRef". Wie jeder Computernutzer weiß, haben klassische Internet-Links aber die Angewohnheit, schnell zu veralten. Plötzlich landet man auf "404 Error"-Seiten - "Sorry, document not found". Um solche "broken links" zu vermeiden, vergeben die Verleger für jedes Dokument eine DOI, den Digital Object Identifier. Diese Kennziffer erlaubt es, Dokumente klar zu identifizieren und zu verorten, selbst wenn sie verschoben werden (DOI Foundation www.doi.org). DOIs sind also eine Art PermLink (permanent link, persistent link) -- besser als jede URL, also Internetadresse.

Wenn ich also in meiner Quellenliste auf "CrossRef" klicke, lande ich auf neuen Seiten außerhalb der SpringerLink-Datenbank. Mit etwas Glück ist das Dokument frei verfügbar. Wenn nicht, weiß ich zumindest, in welcher anderen Datenbank ich es finden kann.

SpringerLink ist nur ein Beispiel. Alle Literaturdatenbanken bieten diesen komfortablen Service. Auch bei wissenschaftlichen Suchmaschinen wie GoogleScholar gibt es eine solche Funktion ("Zitiert durch").

Nebeneffekt: Die "Cited by"-Funktion erlaubt mir auch eine Einschätzung, wie wichtig der von mir gefundene Aufsatz ist. Wird er viel zitiert, ist das ein Hinweis darauf, dass andere Wissenschaftler ihn für inhaltlich und formal hilfreich halten. Das ist natürlich relativ. Peslak wird neunmal zitiert, das ist nicht sehr viel - aber RFID ist eben auch nicht gerade ein Thema, das die Massen bewegt. Andererseits ist Peslaks Artikel noch nicht allzu alt; wäre er fünf Jahre älter, wäre er mutmaßlich schon häufiger zitiert worden. Die Anzahl der Zitate durch andere ist aber in jedem Fall eine Hilfe für die Quellenbeurteilung.