29. Juni 2012

Primäre, sekundäre und tertiäre Quellen

Quellen sind nicht gleich Quellen, wie hier schon oft gesagt. Sie unterscheiden zu können, gehört zur "Informationskompetenz". Sie geht von einer quellenkritischen Haltung aus: Der informationskompetente, quellenkritische Student ist ein gewohnheitsmäßiger Quellenchecker.

Wie "Der Checker" aus der DMAX-Serie für Autofans schaut er den Quellen unter die Motorhaube, sucht nach Macken, Produktionsfehlern, Rost, Verschleiß und fehlenden Teilen. Und er wählt nur die Quellen aus, die seinen Ansprüchen genügen.

Das ist aber nicht nur Plausibilitäts- und Qualitätskontrolle. Quellen haben unterschiedlichen Charakter, und in der wissenschaftlichen Hierarchie sind manche Quellen von vornherein mehr wert als andere.

Eine wichtige Abstufung ist die zwischen primären, sekundären und tertiären Quellen. Für den "Checker" ist klar:
  • Je mehr Primärquellen man hat, desto besser. 
  • Sekundäre Quellen sind gut, aber wer selbst interpretieren will statt sich auf andere zu verlassen, knüpft sich die Primärquelle vor. 
  • Tertiäre Quellen sind in der Hackordnung ganz unten: Sie sind ein Hilfsmittel, um einen Überblick zu bekommen. Sie geben Orientierung über wichtige primäre und sekundäre Quellen. Fortgeschrittene Studenten nutzen für ihre Seminar- und Abschlussarbeiten tertiäre Quellen nur in der Anfangsphase einer Recherche. Nur blutige Anfänger zitieren ständig tertiäre Quellen.

Viele Studenten ordnen ihre Quellenverzeichnisse nach Art der Quelle: Bücher, Zeitschriften, Presse, Online... (siehe dazu diesen Blogpost). Deutlich intelligenter ist es, im Quellenverzeichnis nach Primär- und Sekundärquellen (und zur Not Tertiärquellen) zu sortieren. Denn aus wissenschaftlicher Sicht ist weniger wichtig, ob eine Quelle Buchpappdeckel hat oder nicht, als ihre Wertigkeit einzuschätzen.

Den Unterschied zu erkennen und die Einordnung fallen Studenten erfahrungsgemäß schwer. Außerdem gehen die Fachdisziplinen mit den Begriffen oft etwas unterschiedlich um; wirklich allgemeingültige Standards gibt es nicht. Und das Konzept ist etwas abstrakt, situations- und kontextabhängig. Das führt dann schnell zu Verwirrung. Versuchen wir's trotzdem:

Primäre Quellen
Primäre Quellen sind Originalmaterial -- sozusagen direkt vom Hersteller, "aus erster Hand" und Rohmaterial für den Wissenschaftler.

Sie sind Information im Urzustand -- noch hat sie niemand zusammengefasst, gefiltert, gedeutet, bewertet. Ihr Inhalt basiert oft (aber nicht immer) eher auf Fakten als auf Deutungen.

Einige Beispiele aus dem Feld der Wirtschaftswissenschaften: Eine Studentin hat eine unternehmens- oder branchenbezogene Aufgabe zu bearbeiten, und sie sucht dafür primäre Quellen aus dem Markt:Dokumente eines Unternehmens, Marktberichte eines Wirtschaftsverbands oder einer Unternehmensberatung, Branchen-, Firmen- oder Verbraucher-Statistiken, Meinungs- und Marktforschungsumfragen, Wirtschaftsberichte staatlicher Stellen und sonstige Regierungs- und Verwaltungsdokumente, Gesetze, Verordnungen oder Gerichtsurteile, Reden von und Interviews mit Managern und Marktakteuren, Teilnehmern oder Beobachtern aktueller Ereignisse (auf dem Markt und im Marktumfeld), aktuelle und vorrangig tatsachengestützte Presseberichterstattung über solche Ereignisse, Fotos, Diagramme, Karten aus diesem Umfeld. 

In rein wissenschaftlichem Zusammenhang sind primäre Quellen Forschungsberichte eines Wissenschaftlers, der selbst empirische Daten gesammelt und ausgewertet hat. Solche Daten sind quantitativ (z.B. Statistiken, Umfragen, Experimente) oder qualitativ (z.B. Interviews, Beobachtung, Dokumentenanalyse). Veröffentlicht werden die Forschungsergebnisse in einem wissenschaftlichen Aufsatz in einer Fachzeitschrift, in einem Buch oder in einem eigenständigen Bericht.

Sekundäre Quellen
Sekundäre Quellen enthalten Informationen ÜBER primäre Quellen. Das sind also Infos "aus zweiter Hand". Sekundärquellen fassen Infos aus primären Quellen zusammen. Sie liefern eine Auswahl, eine neue Zusammenstellung. Die Primärquellen werden gedeutet, interpretiert, bewertet.

Analog zum obigen Beispiel: Unsere Wiwi-Studentin sucht nach Analysen und Interpretation über eine Firma, eine Branche oder einen Markt. Nicht was eine Firma über sich selbst sagt, interessiert sie hier, sondern was andere über die Firma sagen -- Branchenexperten, Analysten, Wirtschaftsjournalisten, Wissenschaftler. Eine akademische Studie, die sich vorrangig auf Aussagen anderer stützt, ist in der Regel eine sekundäre Quelle.

Die Abgrenzungsprobleme sind nicht einfach. Wenn Professor Schmitz Daten des Statistischen Bundesamts verwendet und damit komplizierte Berechnungen anstellt, ist sein Forschungsbericht darüber dann eine primäre Quelle? Er hat die Daten ja nicht selbst gesammelt. Aber: Er erzeugt daraus etwas Neues, ein neues Original sozusagen. Primär oder sekundär? Wahrscheinlich überwiegend sekundär... mit etwas primärer Beimischung.

Wie sieht es bei Presseartikeln aus? Oben habe ich gesagt, dies sind  Primärquellen -- aber eingeschränkt: wenn sie aktuell und vorrangig tatsachengestützt über Ereignisse berichten. Wenn sie eher eine allgemeine Branchen- oder Trendanalyse machen, wenn sie Hintergründe aufzeigen oder kommentieren, sind sie eher als sekundäre Quellen einzuordnen. Denn sie sind weniger faktenbasiert, sie interpretieren vor allem, und sie sind auch stärker von einem bestimmten Ereignis entfernt.

Merke also: Wie man die Quellen einordnet, hängt von der eigenen Sichtweise, Zweck und Aufgabe ab, von der Distanz der Quelle zu einem Ereignis und davon, wie stark deutend die Quelle ist. Dieser Kontext verlangt also vom "Checker" ziemlich viel Urteilsvermögen. Ein und dieselbe Quelle kann primär oder sekundär sein.

Tertiäre Quellen
Viel leichter ist es, tertiäre Quellen zu identifizieren. Sie sind vor allem als Zusammenfassung von Primär- und Sekundärquellen gedacht, und ihr Zweck ist in der Regel, einen Überblick über ein Themengebiet zu geben, es zu ordnen und zu indizieren.

Dazu gehören Nachschlagewerke wie Lexika und Enzyklopädien, Wörterbücher, Glossare, Handbücher, Kompendien, Kataloge, Guides und -- wichtig! -- Lehrbücher für Schüler und Studenten.

Ein Lehrbuch mag von einem Forscher geschrieben worden sein, es ist aber keine Forschungspublikation. In der Regel bereitet es eine breite Thematik, die bereits in zahlreichen Sekundärquellen enthalten ist, didaktisch auf, ohne originäre eigene Forschung zu präsentieren und ohne sich direkt mit Primärquellen zu befassen (bestenfalls in Form von Beispielen, die aber nicht der wissenschaftlichen Untersuchung dienen, sondern der pädagogischen Vermittlung: Primärquellen werden nur reproduziert und dann eingeordnet, ggf. werden verschiedene Meinungen aus der Sekundärliteratur dazu vorgestellt). 

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