4. April 2012

Aufsätze mit "Peer Review"

Bei der Literaturrecherche verlangt Ihr Professor, dass Sie bitteschön Forschungsaufsätze aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften mit "Peer Review" heraussuchen sollen. Und nachweisen sollen Sie das auch noch.

Dummerweise gibt es keine Kataloge und Recherchetools, mit denen sich die Aufgabe leicht lösen lässt. Und Fachzeitschriften haben kein einheitliches Format oder Symbol, mit dem "Peer Review" angezeigt wird. Was das ist, ist für Studenten ohnehin ein Rätsel. Der Professor murmelt nur etwas von "Königsklasse" der wissenschaftlichen Qualität. Aber warum soll das besser sein als ein Buch oder ein sonstiger richtig guter Artikel?

Schnelleinstieg 1: Was ist "Peer Review"? 

Um in der "scientific community" Akzeptanz zu erhalten, richtet eine wissenschaftliche Fachzeitschrift ein Herausgeber- oder Redaktionsgremium ("editorial board") aus Wissenschaftlern ein. Es sind also keine Fachjournalisten und Profiredakteure, sondern Professoren und Forscher, die die akademische Güte garantieren sollen. Oft wird eine Fachzeitschrift von einer wissenschaftlichen Fachvereinigung herausgegeben, die rekrutiert ihre Leute also genau aus diesem Verein.

In einem solchen Gremium zu sein, bedeutet Prestige, wissenschaftliche Reputation -- und ein Quäntchen Macht über das, was die Fachdisziplin diskutiert. Das ist nicht nur ein Beirat, wie ihn praxisorientierte Zeitschriften oft haben.

Davon ist aber der Begutachtungsprozess getrennt zu sehen. Zwar entscheidet letztendlich das Redaktionsgremium, aber es bindet sich selbst an ein bestimmtes Verfahren: eben den "Peer Review". Es gibt auch andere Bezeichnungen. Englisch wird neben "peer-reviewed journal" auch von "juried journal" oder "refereed journal" gesprochen.

Mit "Peers" sind Kollegen gemeint -- Wissenschaftler sollen Wissenschaftler begutachten. Die "Reviewer" sind externe, unabhängige Gutachter. Auch als Reviewer tätig zu sein, ist ein Reputationsgewinn -- Honorar gibt es dafür sehr selten. Sie prüfen die eingereichten und vom Redakteur vorgeschlagenen Artikel, sie geben Hinweise und Korrekturtipps für den Autor, der den Aufsatz dann noch einmal überarbeiten kann (oder muss).


Nur wenn die Gutachter der Veröffentlichung zustimmen, wird veröffentlicht. Das Prestige einer Publikation ist oft umso höher, je höher die Ablehnungsquote ist.

Damit die Gutachter wirklich unabhängig sind, werden die Aufsatzvorschläge oftmals anonymisiert. Die Reviewer sind also "blind", sie wissen nicht, wer den Text geschrieben hat. Meist wird der Text von mehreren Personen  begutachtet.

Das ist ein ziemlich großer Aufwand, und das Verfahren dauert viele Monate; manchmal sogar Jahre. Ein halbes Jahr kann man meist rechnen, wissenschaftliche Zeitschriften sind also nicht brandaktuell. Bei den veröffentlichten Aufsätzen findet sich daher oft eine "article history", die anzeigt, wann der Aufsatz einging, wie er durchs Verfahren lief, wann er endgültig akzeptiert wurde. So kann man die Publikationsgeschichte etwas nachverfolgen und sehen, wie aktuell er ist.

Schnelleinstieg 2: Wie stellt man fest, ob die Zeitschrift einen "Peer Review" hat? 

Die "article history" gibt schon mal einen ersten Hinweis ("revised" heißt, der Autor musste wegen Gutachterkritik etwas ändern und neu einreichen; "accepted" heißt Annahme in der endgültigen Form.) 

Wenn Sie den Aufsatz in einer Zeitschriften-Datenbank finden, achten Sie auf Hinweise und Symbole. In manchen Datenbanken können Sie explizit nach "peer-reviewed scholarly journals" suchen (und alles andere von der Suche ausschließen). 

Der beste Weg führt zur Homepage der Zeitschrift. Das ist nicht dasselbe wie die Datenbank, die die Zeitschrift führt! Auf der Internetseite finden Sie in der Regel
  • eine Beschreibung des Ziels der Zeitschrift und ihrer inhaltlichen Schwerpunkte,
  • eine Darstellung des Herausgebergremiums und ihrer Gutachter sowie der Verbindungen zu wissenschaftlichen Vereinigungen,
  • eine Darstellung der Redaktions- und Veröffentlichungsverfahren,
  • "Hinweise für Autoren", die dort veröffentlichen möchten,
  • "Calls for papers", d.h. aktuelle Aufforderungen an Wissenschaftler, Beiträge für eine künftige Ausgabe mit Schwerpunktthemen einzureichen.
Der Nachweis für Peer Review kann sich an unterschiedlichen Stellen verstecken. Meist  findet er sich bei den "Hinweisen für Autoren". Manchmal wird darüber nichts explizit gesagt, aber wenn es Reviewer/Gutachter gibt, dann wohl logischerweise auch ein Review-Verfahren.


Wichtig: Auch in einem "peer-reviewed journal" unterliegen nicht immer alle Beiträge einem Gutachterverfahren. Eine Zeitschrift kann z.B. mehrere Artikelkategorien haben: Forschungsaufsätze, kurze Beiträge zu Debattenforen, Leserbriefe, Buchrezensionen und Praktiker-Gastbeiträge, Mitteilungen von Fachverbände o.ä. In der Regel wird der Aufwand für den "Peer Review" nur für die großen Aufsätze, in denen Forschungsergebnisse präsentiert werden, betrieben.

Kontext


Was ist überhaupt eine "wissenschaftliche" Fachzeitschrift?



Ein bißchen Medienkunde: Schauen Sie einmal, was Wikipedia allgemein zu Fachzeitschriften und zur Untergattung der wissenschaftlichen Zeitschriften zu sagen hat.

Nicht alles, was als "Fachliteratur" klassizifiziert werden kann, ist eine Fachzeitschrift. Es gibt Fachbücher, Loseblattsammlungen, irgendwelche "Papers", Vortragsskripte, Präsentationen, Online-Dienste...

Eine Fz ist ein Periodikum, erscheint also regelmäßig (ob gedruckt oder online oder beides), und richtet sich an Experten. Experten können auch Praktiker sein. Tatsächlich gibt es viele Magazine, Wochen- und Monatsblätter oder sonstige Zeitschriftenformate, die vorrangig praxisorientiert sind -- oder sich an ein gemischtes Publikum aus Praktikern und Wissenschaftlern richten.

Eine streng wissenschaftliche Fachzeitschrift tut das nicht. Sie präsentiert vorrangig wissenschaftliche Forschungsergebnisse und führt akademische Debatten. Wissenschaftler schreiben für Wissenschaftler (ohne Rücksicht auf Studenten und Amateure). 

Typisch ist, dass die dortigen Aufsätze...
  • über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse berichten (aktueller als die meisten Bücher)
  • immer Quellenbelege und ein langes Literaturverzeichnis haben
  • den Fachjargon ihrer Disziplin benutzen und typische Schlüsselbegriffe (key terms) ausweisen, mit denen Wissenschaftler z.B. den Bezug zu etablierten Theorien und Sachgebieten identifizieren
  • sich auf andere Wissenschaftler beziehen (Bezug zum Forschungsstand)
  • ausführlich Methoden und Datenanalysen diskutieren
  • einen langen, beschreibenden Titel haben (also selten "knackige" Headlines)
  • in der Regel deutlich länger als 5 Seiten sind.
Bei Praktiker-Fachzeitschriften werden sie das nicht in gleicher Weise finden. Dort sind die Aufsätze kürzer, Literaturbelege gibt es nicht oder nur wenige (im Sinne "weiterführender Literatur" als Lesetipps, nicht als Belegapparat), und der ganze Kontext ist weniger akademisch. Vielmehr bezieht er sich eher auf einen Beruf oder eine Branche, weshalb ich gern von praxisorientierten Branchen-Fachzeitschriften spreche.

Es gibt viele Merkmale, an denen Sie die Unterschiede zwischen wissenschaftlichen Fachzeitschriften, praxisorientierten Branchen-Fachzeitschriften und - im noch größeren Kontrast - Publikumszeitschriften leicht erkennen können (zum Vergrößern auf Tabelle klicken):

Unterschiede von Fachzeitschriften, erweiterte eigene Darstellung und angelehnt an eine Aufstellung der ProQuest-Datenbank (Scholarly Journals, Trade Publications, and Popular Magazines)

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